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Nr. 070: Wirtschaft geht denkbar angeschlagen in den Winter: Prof. Dr. Grömling (IW) mit ernüchterndem Ausblick zu Gast bei IHK und Unternehmerschaft

6. Oktober 2022 / „Wir werden uns warm anziehen müssen – und zwar weit über den kommenden Winter hinaus!“ Das Fazit, das Christian F. Kocherscheidt, Vorsitzender der Unternehmerschaft Siegen-Wittgenstein am Ende eines spannenden Vortragsabends im Südwestfalen-Saal der IHK Siegen zog, war ungewöhnlich ernüchternd. Gemeinsam hatten Unternehmerschaft und IHK Prof. Dr. Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln dafür gewonnen, eine Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Eckdaten vorzunehmen und einen Ausblick darauf zu geben, was die krisengeschüttelte Wirtschaft in den kommenden Monaten erwartet. Der vielsagende Titel des Vortrags: „Warum müssen wir uns im Winter warm anziehen?“

Die zentrale Botschaft des Wirtschaftsexperten: „Die Volkswirtschaft befindet sich alles andere als im Gleichgewicht. Sie geht infolge einer Investitionskrise und einer Konsumkrise verwundet in den Winter!“ Mit einem Blick auf die statistischen Daten zeigte der Gast nicht nur deutlich die tiefen Einbrüche in der Wertschöpfung und beim Export auf, die die Corona-Krise 2020 in der Industrie und bei den Dienstleistungen hervorrief. Ebenso deutlich veranschaulichte er, wie schnell sich die Wirtschaft hiervon erholte, ohne dass dabei jedoch insgesamt das Vorkrisenniveau wieder erreicht worden sei. Die Bauindustrie, die vergleichsweise gut durch die Corona-Zeit gekommen sei, schwächele ausgerechnet jetzt. Mit ihr breche ein wichtiger „Stabilisator“ weg. Ursächlich hierfür: steigende Zinsen und Lieferprobleme. 
Hinzu kommen jetzt erhebliche Rückgänge im privaten Konsum. Prof. Dr. Grömling: „Es ist geradezu einzigartig, was in dieser Zeit an Einbruch und Erholung zu beobachten war. Aber uns fehlt seit zwei Jahren die Luft, wieder dort anzuknüpfen, wo wir vor Corona standen!“ Vielmehr sei die Entwicklung von anhaltenden Produktionsproblemen in der Industrie geprägt, insbesondere in der Automobilindustrie, die im vergangenen Jahr einen erneuten Einbruch erlitten habe, aber auch der Maschinenbau hinke hinterher. 
Während es schon in den 70er und 80er Jahren drastische Steigerungen bei Energiepreisen gegeben habe und „Energie- und Rohstoffpreisschocks“ insofern nicht neu seien, komme in der derzeitigen Krise ein „Produktionsschock“ hinzu. In dieser Kombination und in diesem Ausmaß sei das sicher einmalig, zumal die Weltwirtschaft durch Corona noch spürbar angeschlagen sei. Das treffe unmittelbar die Außenwirtschaft: Wenn gespart werde, dann in der Regel zuerst bei Investitionsgütern, ist sich Prof. Dr. Grömling sicher. „Ich tue mich schwer mit Zweckoptimismus. Alles, was wir derzeit sehen, ist eher düster!“ Der Krieg in der Ukraine belaste die Wirtschaft in vielfacher Hinsicht. Zu den gravierendsten Auswirkungen gehörten hohe Energiepreise, ausfallende Vorleistungen, fehlende Gaslieferungen, fehlende Mitarbeiter und wegbrechende Absatzmärkte. 

Der Referent geht von Einschränkungen in der Energieversorgung und Störungen aus. „Bei aller Freude über die gut gefüllten Gasspeicher sollte nicht vergessen werden, dass der heutige Speicherstand zum überwiegenden Teil noch auf russische Gaslieferungen zurückgeht. Für die Zukunft sagt er daher nicht viel aus.“ Es drohe ein „Fiasko“, wenn einzelne Produktionsstätten einfach von der Gasversorgung ausgenommen würden. „Wenn einzelne Bestandteile eines Produktionsnetzwerkes herausgelöst werden, reißen industrielle Produktionsketten mit erheblichen Folgen. Wir können nicht davon ausgehen, dass diese Lücken anschließend wieder bei uns in Deutschland zusammenwachsen.“ 

Konjunkturprognosen stürzen ab
Die aktuellen Konjunkturprognosen für Deutschland fallen ausgesprochen schlecht aus: Wurde Anfang des Jahres mit Blick auf 2023 noch ein Wachstum zwischen 3 und 4 % vorhergesagt, rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft jetzt mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im Jahresdurchschnitt um 1,75 %. Die Rezession ist demnach unausweichlich. „Zugrunde liegt hierbei die Annahme, dass sich die Versorgungsprobleme und negativen Preiseffekte in der zweiten Jahreshälfte zurückbilden, ansonsten verschlechtert sich die Lage weiter“, gibt Prof. Grömling zu bedenken. Bei aller grundsätzlichen Sympathie für die Schuldenbremse sollte hieran aus seiner Sicht nicht dogmatisch festgehalten werden. „Es kann nicht richtig sein, Unternehmen weiteren Kostenschocks auszusetzen, während viele von ihnen um ihre Existenz kämpfen!“ Es klaffe schon jetzt eine große Investitionslücke, die zum einen auf bestehende Lieferprobleme zurückgehe, zum anderen jedoch auf eine allgemeine Investitionszurückhaltung. Angesichts der gewaltigen Herausforderungen der deutschen Wirtschaft – demografische Entwicklung, De-Globalisierung, Klimawandel und Digitalisierung – eine denkbar schlechte Ausgangssituation. Die Rahmenbedingungen müssten dringend verbessert werden: Hierzu gehörten Infrastrukturen, institutioneller Rahmen, Innovationsklima, Kosten und Steuern, aber auch Energie- und Rohstoffpreise, so der Experte. 

Christian F. Kocherscheidt dankte Prof. Dr. Grömling für den tiefen Einblick in die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen und Aussichten. Der IHK-Vizepräsident schlug die Brücke in den heimischen Wirtschaftsraum: „Wir sind in Südwestfalen stolz auf unsere vielen Weltmarktführer und den hohen Anteil industrieller Arbeitsplätze. Aber: Unser Wohlstand ist in Gefahr. Wenn heimische Unternehmen ihre Produktion herunterfahren oder sogar einstellen müssen, stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel. Die marode Talbrücke Rahmede tut ihr Übriges!“ 


Zur Person
Prof. Dr. Michael Grömling promovierte 1996 in Wirtschaftswissenshaften an der Universität Würzburg. Im selben Jahr trat er in das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ein. Er ist Leiter der Forschungsgruppe Gesamtwirtschaftliche Analysen und Konjunktur. Seit 2006 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre an der International University IU. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Konjunktur, Strukturwandel, langfristige wirtschaftliche Entwicklung sowie volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen / Wohlstandsanalyse.  

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