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Nr. 075: „Entlastungen enthalten Unwuchten“ - IHK sieht Nachbesserungsbedarf bei 49-Euro-Ticket und Gaspreisbremse

3. November 2022 / „Die geplanten Entlastungen enthalten Unwuchten. Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass es beim 49-Euro-Ticket und der Gaspreisbremse Gewinner und Verlierer geben wird, die extrem unterschiedlich betroffen sind. Bei weitem nicht alle Unternehmen werden hiervon profitieren.“ Walter Viegener, Präsident der IHK Siegen, sieht das milliardenschwere Entlastungspaket, auf das sich Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Ministerpräsidenten geeinigt hat, vor diesem Hintergrund kritisch. Mit dem stark subventionierten 49-Euro-Ticket sollen Menschen bei der Nutzung des Nah- und Regionalverkehrs entlastet werden. 3 Milliarden Euro lassen sich Bund und Land diese Maßnahme im Jahr kosten. In den ländlichen Räumen, so Walter Viegener, verfehle dieses Instrument seine Wirkung nahezu vollständig. Hier sei nicht der Preis, sondern das Angebot die eigentliche Nutzungsbarriere. „Ob das Ticket 90 €, 70 € oder 49 € kostet: Die Wartezeit auf den nächsten Bummelzug verkürzt sich hierdurch nicht.“

Solange die eklatanten Defizite bei der Schieneninfrastruktur nicht beseitigt und Fahrpläne nicht attraktiver würden, komme die Entlastung bei den Menschen nicht an. Dass die jetzt erzielte Verständigung zwischen Bund und Ländern hieran in absehbarer Zukunft etwas ändert, glaubt auch Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der IHK, nicht. Vielmehr werde mit dem neuen Angebot ein ganz anderes Ziel erreicht: „Das 49-Euro-Ticket ist ein Paradebeispiel dafür, wie Milliarden an Steuergeldern aus dem ländlichen Raum überwiegend in die Metropolen geschaufelt werden – längst nicht zum ersten Mal. In erster Linie handelt es sich um ein Umverteilungsprogramm zu Lasten des heimischen Wirtschaftsraumes. Dass dieses Ballungsraum-Beruhigungsgeschenk auch noch ‚Deutschlandticket‘ getauft wird, soll über den eigentlichen Webfehler dieses Instruments augenscheinlich hinwegtäuschen!“ Man wäre besser beraten gewesen, das Billig-Ticket an verbindliche Verbesserungen von Angebot und Infrastruktur zu koppeln.

Auch die Preisbremse für Gas und Fernwärme stößt in der jetzt verabredeten Form auf deutliche Kritik der IHK. Zwar sei die Entlastung für kleine und mittlere Unternehmen sowie für Privathaushalte grundsätzlich zu begrüßen, jedoch lägen die Fallstricke hier im Detail. So wird unterschieden zwischen der Verbrauchsgruppe Haushalte/Gewerbe, für die eine Bremse von 12 Cent/kWh Endkundenpreis für 80 Prozent des Verbrauchs gilt und der Verbrauchsgruppe Industrie, für die eine Bremse von 7 Cent/kWh Arbeitspreis für 70 Prozent des Verbrauchs gilt.

Nach dem Endbericht der Expertenkommission werden die größeren Gasverbraucher im Gewerbe voraussichtlich sämtlich der Gruppe Industrie zugeordnet. „Diese Einteilung führt aus Sicht vieler mittelständischer Unternehmen zu Ungerechtigkeiten, da so Betriebe ein und derselben Branche ungleich behandelt werden können. Hinzu kommt, dass es für mittelständische Unternehmen nicht unbedingt vorteilhaft ist, zur Industriegruppe gezählt zu werden, da dies negative Auswirkungen auf die Höhe der Gaspreisbremse nach sich ziehen kann“, kommentiert Klaus Gräbener. 

Die Kunden der Industriegruppe müssten mit zusätzlichen Auflagen rechnen, wenn sie die Gaspreisbremse in Anspruch nehmen wollten. So sollen Betriebe in der Industriegruppe nach den Vorschlägen der Kommission beispielsweise konkretere Bedingungen für den Standorterhalt erfüllen. Klaus Gräbener: „Gerade mittelständische Unternehmen werden so vor Hürden gestellt, an denen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern. Am Ende bleiben ihnen in der Praxis genau diejenigen Hilfen verwehrt, auf die sie zwingend angewiesen sind, um den Standort zu erhalten“, gibt der Hauptgeschäftsführer zu bedenken. Eine weitere Unwucht leitet sich aus Sicht der Kammer aus der Berechnungsgrundlage für die Gaspreisbremse ab. Walter Viegener: „Bezugsgröße für die Unternehmen in der Gruppe ‚Industrie‘ ist das Jahr 2021, in dem etliche Branchen noch von Corona-Einschränkungen betroffen waren. Daraus errechnet sich eine Gaspreisbremse, die deutlich unter dem tatsächlichen Entlastungsbedarf liegt.“

Nachdem eine vorübergehende Ausweitung des Energieangebotes politisch nicht gewollt sei, lägen nunmehr alle Hoffnungen auf die für den Steuerzahler teuren Preisbremsen, betont der IHK-Präsident. Einen „Fehlschuss“ könne man sich somit auf keinen Fall erlauben. „Mit der jetzt erreichten Verständigung läuft Politik Gefahr, dass das Entlastungspaket seine Wirkung mit Blick auf die Wirtschaft verfehlt“, so Walter Viegener: „Für viele Branchen wäre das fatal. Deshalb braucht es in diesen Punkten dringend Nachbesserungen!“

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