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"Familienfreundliches Unternehmen": Mehr als nur ein Zertifikat

Text: Patrick Kohlberger, Fotos: Carsten Schmale (2), Werkfotos (3)

Der fortschreitende demografische Wandel und der damit einhergehende Fachkräftemangel stellen viele Firmen vor große Herausforderungen. Wer auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben und sich auf dem Markt behaupten möchte, ist gut beraten, sich intensiv mit den Bedürfnissen seiner Angestellten auseinanderzusetzen. Zahlreiche Betriebe aus dem Kammerbezirk haben in diesem Kontext kürzlich eindrucksvoll ihre Zukunftsfähigkeit unter Beweis gestellt, indem sie das Zertifikat „Familienfreundliches Unternehmen“ erlangten. Dieses ist ein durch Mittel des Landes NRW und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördertes, regionales Gütesiegel mit Blick auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen aller Branchen.

„Das Ziel der Auszeichnung besteht darin, Impulse für Mitarbeiterbindung und ein modernes Personalmanagement zu setzen“, unterstreicht Kristina Wertebach, Projektleiterin des für die Umsetzung verantwortlichen Kompetenzzentrums Frau & Beruf Siegen-Wittgenstein/Olpe (kurz: Competentia NRW). In ganz Südwestfalen konnten die Initiatoren bisher rund 200 Unternehmen mit dem Prädikat versehen. Im heimischen Kammerbezirk sind es 30 – neun davon ganz frisch seit der letzten Zertifizierungsrunde. Die restlichen Betriebe haben sich den Status in den vergangenen Jahren verdient und zum Teil bereits den Prozess der Bestätigung durchlaufen. Sie alle eint ein klarer Fokus auf Beratungs- und Serviceleistungen sowie konkrete Maßnahmen, die der Familienfreundlichkeit zugutekommen: von Elternförderung über Kinderbetreuung bis hin zur Optimierung der Arbeitsorganisation.

Eine fachkundige Jury mit Vertretern des Arbeitgeberverbands für den Kreis Olpe e.V., der Arbeitgeberverbände Siegen-Wittgenstein, der DGB-Region Südwestfalen, der IHK Siegen, der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd, der IG Metall Siegen-Wittgenstein, der IG Metall Olpe sowie der Regionalagentur Siegen-Wittgenstein und Olpe hat die Bewertung der beteiligten Unternehmen vorgenommen.

Wie ein gelungenes Konzept in der Praxis aussehen kann, stellt beispielsweise die Tobias Schmidt Steuerberatungsgesellschaft mbH unter Beweis. Das Unternehmen mit Standorten in Siegen und Wilnsdorf hat das Zertifikat in diesem Jahr erhalten. Die Verantwortlichen legen großen Wert darauf, Berufliches und Privates bestmöglich in Einklang zu bringen. „Als wir von der Möglichkeit gehört haben, dieses Siegel zu bekommen, war uns sofort klar, dass wir uns darin sehr gut wiederfinden“, erklärt Geschäftsführer Tobias Schmidt. Für sein 20-köpfiges Team sei die Rücksicht auf das Familienleben ein wesentlicher Bestandteil der seit Jahren gelebten Philosophie. Dabei sei zunächst einmal die Möglichkeit einer Flexibilisierung der Arbeitszeit obligatorisch. Als treibende Kraft unter den Mitarbeitern habe sich Anja Schmelzer, Steuerfachangestellte und Mitglied der Kanzleileitung, für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens eingesetzt.

Die alleinerziehende Mutter war es auch, die die Angebote im Zuge der Zertifizierung präsentierte. Dazu gehört etwa die Option für die Beschäftigten, ihre Kinder mit ins Büro zu nehmen, sofern dies logistisch machbar ist und die Arbeit nicht behindert. Genauso wichtig wie die Strukturierung der Abläufe vor Ort ist Tobias Schmidt und seinen Kollegen die außerbetriebliche Kommunikation. Unter anderem haben die Mitarbeiter beider Standorte bereits einen zweitägigen Ausflug an die Mosel unternommen – eine Maßnahme, die das ohnehin starke Gemeinschaftsgefühl nochmals intensivierte. Besonders gut kommen auch die regelmäßigen Zusammenkünfte nach Feierabend an. Hieran nimmt ebenfalls sowohl die Siegener als auch die Wilnsdorfer Belegschaft teil. „Wir bestellen Essen und setzen uns gemütlich auf die Dachterrasse. Solche Runden dienen der guten Stimmung, aber natürlich auch dem fachlichen Dialog. So sind am Ende alle bestens gelaunt und zugleich dienstlich auf demselben Stand“, beschreibt Schmidt die Vorteile. Der erfolgreiche Wissenstransfer wirke sich unmittelbar auf die Arbeit der Beschäftigten aus.

Aus Sicht des Geschäftsführers steht fest, dass es sich – unabhängig von der jeweiligen Branche – für alle Vertreter kleiner mittelständischer Betriebe lohnt, den Dialog mit anderen zu suchen und so Inspiration für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewinnen. Genau in diesem Punkt bestehe ein großer Vorzug der Arbeit, die Competentia NRW durch die Vernetzung leiste. „Der Austausch mit Firmen ganz unterschiedlicher Segmente ist sehr bereichernd. Man kann die eigenen Erfahrungen weitergeben und selbst auch noch eine ganze Menge lernen.“

Sich stetig weiterzuentwickeln und den Beschäftigten optimale Bedingungen zu ermöglichen, ist auch ein wesentliches Anliegen der in Wenden ansässigen EMG Automation GmbH, die das Zertifikat seit 2018 innehat und nun die Rezertifizierung vollendet hat. Der Spezialist für intelligente und komplexe Automatisierungslösungen verfolgt einen zentralen Grundsatz, wie Personalleiterin Mandy Wörder verdeutlicht: „Es geht längst nicht nur um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir wollen einen allumfassenden Blick einnehmen und unsere Mitarbeiter bei privaten Anliegen in jeder Phase des Arbeitslebens unterstützen.“

Um diesen Anspruch zu erfüllen, hat das Unternehmen eine ganz Reihe von Instrumenten entwickelt und auf den Weg gebracht. Für ältere Mitarbeiter bedeutet dies zum Beispiel, dass sie ab dem 58. Lebensjahr individuell mit ihren Vorgesetzten besprechen und festlegen, wie der letzte Abschnitt ihrer Karriere aussehen soll. Eine Besonderheit markiert zudem das sogenannte Lebensarbeitszeitkonto, das alle Beschäftigten nutzen können. „Die Stunden aus diesem Kontingent kann man unter anderem dafür verwenden, in einer privaten Notsituation eine bezahlte Auszeit zu nehmen“, erklärt Marketingleiterin Nicol Otterbach. Hilfreich sei dies etwa, wenn ein Angehöriger eines Mitarbeiters eine akute Pflegebedürftigkeit aufweise.

Das Angebot der Elternzeit und des individualisierten Wiedereinstiegs findet ebenfalls regen Zuspruch. Auch junge Väter nehmen diese Möglichkeit bei der EMG Automation GmbH gerne an. „Egal, ob Mutter oder Vater: Alle Elternteile sind während ihrer Auszeit eng an das Unternehmen angebunden und können den Wiedereinstieg in Absprache mit ihrem Vorgesetzten individuell planen“, konstatiert Mandy Wörder. Im „Eltern-Kind-Büro“ kann man sogar Arbeit und Nachwuchs unmittelbar unter einen Hut bringen. Auf rund 20 m² stehen hier ein vollständiges Dienstequipment für die Mitarbeiter und eine Spielecke für die Kleinen zur Verfügung. In den Sommerferien organisiert das Unternehmen überdies gemeinsam mit einem externen Dienstleister eine zweiwöchige Betreuung für Mitarbeiterkinder im betriebseigenen, sehr geräumigen Kommunikationszentrum. Dieses Programm erfreut sich steigender Beliebtheit, und alle Beschäftigten freuen sich über das Kinderlachen auf dem Firmengelände.

Während der Corona-Zeit hat sich außerdem bei den Arbeitsabläufen ein klarer Trend entwickelt, der in puncto Zukunftsfähigkeit und Familienfreundlichkeit ein wichtiges Zeichen zu setzen vermag: das flexible Arbeiten im Home-Office. „Im administrativen Bereich war zwischenzeitlich fast jeder zuhause aktiv“, berichtet Nicol Otterbach. Dies sei zwar kein dauerhaft erstrebenswerter Zustand. Je nach Aufgabensegment des Mitarbeiters stelle das heimische Büro jedoch eine sinnvolle Alternative dar. Die während der vergangenen Monate ausschließlich digital durchgeführten Konferenzen hätten zudem gezeigt, dass kontaktlose Verständigung problemlos umsetzbar sei. Mitunter lasse sich die Effizienz in Abstimmungsprozessen dadurch sogar erhöhen. Auf Dauer aber sei es entscheidend, eine gute Mixtur aus persönlichen Gesprächen vor Ort und digitalen Ergänzungen zu finden.

Der Prozess der Zertifizierung war auch für die Brillen-Fuchs Optik-Foto GmbH aus Siegen mit einer Reihe von spannenden Erkenntnissen verbunden. Das Geschäft mit Filialen in der Oberstadt und der City-Galerie trägt das Siegel „Familienfreundliches Unternehmen“ seit dem Frühjahr. „Wir gehörten bei dieser Runde zu den Unternehmen mit der niedrigsten Mitarbeiterzahl. Es war sehr aufschlussreich, sich mit größeren Firmen – etwa aus dem Industriebereich – auszutauschen“, berichtet Geschäftsführer Heinjochen Fuchs. Andere Sichtweisen kennenzulernen und beidseitig davon zu profitieren, wertet er als enormen Vorteil, auch wenn sich eine Eins-zu-eins-Umsetzung im eigenen Betrieb freilich nicht immer als praktikabel erweise.

Realisiert hat das Team aber zum Beispiel umgehend eine ganz einfache Maßnahme, die aus den Anregungen innerhalb der Gesprächskreise hervorging. Zwei Mal pro Woche steht den Beschäftigten an beiden Standorten nun ein Korb mit frischem Obst zur Verfügung. „Dieses Angebot ist leicht umzusetzen und findet großen Anklang. Es trägt zur guten Stimmung bei und dient natürlich ganz nebenbei auch noch der Gesundheitsförderung“, konstatiert Fuchs. Darüber hinaus hat er gemeinsam mit dem Kollegium bereits einige weitere Ideen auf den Weg gebracht, um das Wohlbefinden zu steigern – und zudem ganz bewusst den Spagat zwischen Job und Familie zu meistern. „Optionen wie Home-Office gibt es in unserem Job naturgemäß leider nicht – dafür aber ein Höchstmaß an Flexibilität in der Gestaltung des Arbeitszeitenplans.“

Mit 23 Geburten in den vergangenen zwei Dekaden sei Brillen-Fuchs „ein sehr kinderreiches Unternehmen“, freut sich der Geschäftsführer. Insgesamt liege der Frauenanteil in der Belegschaft bei mehr als 70 %. Daher habe man den Fokus schon vor vielen Jahren darauf gerichtet, vor allem jungen Müttern Unterstützung zu bieten. Sie könnten jederzeit selbst bestimmen, wann und in welchem Umfang sie wieder einsteigen. Besonders in der Oberstadt-Filiale bestehe die Möglichkeit, eine Teilzeitstelle so auszulegen, dass die Beschäftigte morgens arbeiten und mittags ihr Kind aus der Kita oder der Schule abholen könne.

Auch darüber hinaus liege ihm das Unternehmensklima sehr am Herzen, betont Heinjochen Fuchs. Dokumentieren lässt sich dies zum Beispiel anhand der außerbetrieblichen Aktivitäten, die das Team seit Jahren immer wieder organisiert – von einer Winterwanderung durch die verschneite Wisent-Wildnis über ein geselliges Firmenfest bis hin zur unterhaltsamen „Brillen-Fuchs-Olympiade“, bei der nicht nur die Mitarbeiter, sondern vor allem deren Kinder großen Spaß hatten.

Nächste Runde steht bevor

Im Spätsommer dieses Jahres startet eine neue Runde des Zertifizierungsprozesses in der Region. Wer das Zertifikat „Familienfreundliches Unternehmen“ erlangen will, kann sich noch bis Ende August bewerben. Die Unternehmen müssen nur einen geringen Eigenanteil zu den Kosten beitragen. Auf die Teilnehmer warten erkenntnisreiche Individualgespräche und die Möglichkeit, mit anderen in den Dialog zu treten. Interessierte Betriebe wenden sich für den Kreis Siegen-Wittgenstein an Kristina Wertebach (E-Mail: k.wertebach@siegen-wittgenstein.de, Tel.: 0271 333-1191) und für den Kreis Olpe an Carla Hömberg (E-Mail: c.hoemberg@kreis-olpe.de, Tel.: 02761 81-514). Weitere Informationen zum Zertifikat finden Interessierte unter www.competentia.nrw.de.

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Ansprechpartner

Patrick Kohlberger

Tel: 02713302-317
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