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Großraum- und Schwertransporte - Wichtiges Rückgrat der heimischen Industrie

Text: Hans-Peter Langer, Fotos: Carsten Schmale (6), Werkfoto (1)

Sie sind groß und schwer – und meistens nicht leicht zu überholen: Wer einem Schwertransport auf der Straße begegnet, ist meist froh, wenn er ihn endlich im Rückspiegel sieht und nicht mehr hinter ihm herfahren muss. Welche enorme Bedeutung diese Sondertransporte für die regionale Wirtschaft haben, ist häufig nicht bekannt. Mindestens genauso beeindruckend wie die Maße und Gewichte dieser Transporte ist ihre schlichte Anzahl: Zwischen 10.000 und 14.000 Genehmigungsanträge haben die hierfür zuständigen Straßenverkehrsbehörden der Kreise Siegen-Wittgenstein und Olpe zuletzt pro Jahr bearbeitet.

„Das sind nicht alles Anträge, die hier vor Ort gestellt wurden. Genau wie andere Behörden werden wir über ein Anhörungsverfahren beteiligt, wenn der Antrag in einer anderen Region gestellt wurde, der Transport aber durch unser Gebiet rollen soll“, erläutert Thomas Schneider, Leiter des Amtes für öffentliche Sicherheit und Ordnung beim Kreis Siegen-Wittgenstein. Dass dennoch gerade hier viele Schwertransporte auf die Straße rollen, hängt vor allem mit der vorherrschenden industriellen Branchenzusammensetzung zusammen. Die Hersteller von Maschinen, Walzenständern, Rohren, Betonfertigteilen, Raumcontainern/Raummodulen oder die Unternehmen im Apparate- und Behälterbau haben eines gemeinsam: Ihre Erzeugnisse lassen sich nicht per E-Mail auf den Weg bringen. Es handelt sich um unteilbare, große oder schwere Produkte, die faktisch bewegt werden müssen.

Die Betriebe sind deshalb auf ein funktionsfähiges Straßennetz angewiesen, damit sie weiterhin erfolgreich sein können. Aber hier liegt gegenwärtig ein großes Problem: Die Qualität der Verkehrsinfrastruktur hat mit den Jahren so stark gelitten, dass auf vielen Straßen schwere Güter gar nicht mehr transportiert werden können. Zahlreiche Brücken und Straßen werden „abgelastet“, das heißt, für höhere Gewichtsklassen ist das Befahren untersagt. Die Transporte werden daher über weitläufige Umleitungen geführt mit der Folge, dass Planungsaufwand, Kosten und Risiken steigen.

„Wenn das Transportgut nicht rechtzeitig im Hafen ankommt, legt das Schiff ohne die Ware ab. Schlimmstenfalls muss dann noch die Luft bezahlt werden, die stattdessen über die Meere gefahren wird“, erläutert Peter Bender. Der Geschäftsführer der Spedition Bender GmbH in Freudenberg kennt die verkehrlichen Nadelöhre in der Region. „Vor ein paar Jahren hatten wir die Situation, dass wir die schweren Teile unserer Kunden kaum hierhin und von hier weg transportieren konnten. Für Schwertransporte war der heimische Wirtschaftsraum durch die Sperrung der Straßen für diese Transporte so gut wie abgeriegelt.“

Für den Spediteur war ein Punkt erreicht, an dem es so nicht weitergehen konnte. Gemeinsam mit der IHK wurde der Kontakt zum Verkehrsministerium gesucht und eine verlässliche Schwerlastroute angestoßen. Peter Bender selbst hat Zeit und Geld investiert, um eine Route zu finden, die wenigstens verlässlich den Transport schwerer Güter zu den nordrhein-westfälischen Binnenhäfen sicherstellen sollte. Keine neue Straße, wohlgemerkt, sondern ein bestehender Streckenzug, der Schwertransporten dauerhaft zur Verfügung steht. Das war vor acht Jahren. Heute ist der Unternehmer bei diesem Thema ernüchtert und um einige Erfahrungen reicher: „Wir wurden zunächst regelmäßig, später unregelmäßig zu Projektgruppensitzungen in das Ministerium eingeladen. Aber der Prozess war zäh und insgesamt dauerte das alles viel zu lange. Heute ist die Schwerlastroute, die das Siegerland mit den Binnenhäfen in Gelsenkirchen und Duisburg verbindet, immer noch nicht abschließend so fertiggestellt, dass sie auch von den ganz schweren Transporten genutzt werden könnte. Die behördlichen Mühlen mahlen eben langsam.“

Für den heimischen Wirtschaftsraum sind Großraum- und Schwertransporte äußerst wichtig. Meist treten in der öffentlichen Wahrnehmung nur die auf diese Sondertransporte spezialisierten Spediteure in Erscheinung. Man kann jedoch alleine in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe von mehr als 50 Produktionsunternehmen, Bauunternehmen, Dienstleistern für Bau und Gewerbe sowie besagten Speditionen und Logistikbetrieben ausgehen, die regelmäßig mit Schwertransporten zu tun haben. Diese Betriebe, die fast 10.000 Beschäftigte zählen, erzielen einen Jahresumsatz von rund 3,5 Mrd. €.

„Wenn Schwertransporte gar nicht erst auf die Straße kommen, ist es um den Produktionsstandort schlecht bestellt“, spricht Walter Viegener Klartext. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter der Viega Holding GmbH & Co. KG, die selbst Schwertransporte nutzt. Der Vizepräsident der IHK Siegen weiß: In der Vergangenheit kam es vereinzelt bereits zu Produktionsverlagerungen aus dem Kammerbezirk ins Ausland, weil Schwertransporte auf deutschen Straßen nicht mehr möglich waren. Am Ende stünden ganze Firmenstandorte in Gefahr. „Wenn Nordrhein-Westfalen das Industrieland ist, von dem die Landesregierung immer spricht, dann muss alles erdenklich Mögliche dafür getan werden, die Rahmenbedingungen für die Schwertransporte zu verbessern!“

Ansatzpunkte hierfür sieht Walter Viegener zur Genüge. Aktuell setzt er sich als Vorsitzender des IHK-Industrie- und Verkehrsausschusses persönlich dafür ein, dass die wegen des Bußgeldkataloges ins Gerede gekommene Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) noch einmal angepasst wird. Denn: Sie enthält auch einige rechtliche Neuerungen für Schwertransporte, die absehbar zu erheblichen Problemen führen. „Ich bin jedes Mal auf das Neue entsetzt, wie praxisfremd neue gesetzliche Vorgaben sind. Augenscheinlich gelingt es in den ministeriellen Arbeitsgruppen nicht, erfahrene Praktiker bei ihrer Erstellung einzubeziehen. Oder sie sind einbezogen und sagen einfach nichts“, wundert er sich. Produkte „made in Germany“ genössen nach wie vor weltweit hohes Ansehen. Ausgerechnet die Gesetzgebung „made in Germany“ drohe seit einiger Zeit, diesen Ruf nachhaltig zu zerstören.

Zentraler Stein des Anstoßes: Die örtliche Zuständigkeit nach § 47 StVO. In Deutschland müssen bei Schwertransporten sowohl der Einsatz des Transportfahrtzeuges als auch die vorgesehene Transportroute behördlich genehmigt werden. Bislang können die Anträge bei verschiedenen Straßenverkehrsbehörden gestellt werden: dort, wo der Transport startet oder da, wo der Antragsteller seinen Wohnort, seinen Sitz oder eine Zweigniederlassung hat. Dadurch verteilt sich die Antragslast räumlich. Dies soll nun stark eingeschränkt werden: Ab Januar sollen Einzel-Anträge nur noch am Start- und am Zielort des Transportes gestellt werden können. Spediteure und produzierende Unternehmen erwarten hierdurch deutliche Verzögerungen bei der ohnehin schon langwierigen Bearbeitung von Genehmigungsanträgen.

Mit der neu geschaffenen Autobahn GmbH des Bundes wird ab 2021 zudem eine weitere, zusätzliche Institution in den Verfahren beteiligt, was voraussichtlich nicht verfahrensverkürzend wirken wird. Mit der neu geregelten Behördenzuständigkeit könnten einige kleine Straßenverkehrsbehörden es mit einer Flut an Anträgen zu tun bekommen, während andere ihr fachkundiges Personal plötzlich mit anderen Aufgaben auslasten müssen, so die Sorge vieler Fachleute.

Das sei jedoch nur die Spitze des Eisberges, betont Jörg Reichmann, Vorstand der STL Logistik AG. „Wir kämpfen seit Jahren mit einem Genehmigungs- und Anhörungsverfahren, das immer komplizierter und mit einem Auflagenwust, der immer grotesker wird. Nach wochenlangem Warten gibt es dann einen Genehmigungsbescheid mit hundert Seiten, den man locker als Buch binden lassen könnte.“ Hinzu komme, dass jedes Bundesland das behördliche Anhörungsverfahren und die Auflagenpraxis anders organisiert habe. „Unsere Transporte enden ja nicht an der Landesgrenze. Wir müssen uns also mit den länderspezifischen Strukturen und Anforderungen vertraut machen. Denn, was in einem Bundesland vorgeschrieben ist, wird im Nachbarland nicht zwingend auch akzeptiert.“ In Detailfragen herrschten mitunter sogar innerhalb eines Landes unterschiedliche Auffassungen vor, „je nachdem, mit wem man gerade spricht!“ Selbst für Fachleute werde es immer schwieriger, das Regelungsdickicht überhaupt noch zu durchdringen.

Der Spediteur aus Haiger kann angesichts bestimmter Auflagen nur den Kopf schütteln, wenn beispielsweise eine Transportstrecke im Vorfeld mit einer Drohne abgeflogen oder mit einem Vermessungsfahrzeug ein 3D-Scan erstellt werden muss. „Wir machen das dann, weil wir entschlossen sind, immer das Beste für unseren Kunden zu erreichen. Aber manchmal fühlt man sich wie bei ‚Verstehen Sie Spaß?‘ mit dem Unterschied, dass einem nicht mehr zu lachen zumute ist!“ Alles, was das Genehmigungsverfahren zusätzlich verkompliziere und bürokratisch aufwendiger mache, wirke sich verheerend aus.

Die derzeit geplante Neuregelung der behördlichen Zuständigkeit sieht Jörg Reichmann wie die meisten seiner Kollegen ausgesprochen kritisch. „Häufig kennen sich die Mitarbeiter in den Speditionen und die Behördenvertreter durch ihre tagtäglichen Kontakte. Probleme können pragmatisch gelöst werden, ohne dass man immer wieder ‚bei Adam und Eva‘ anfangen muss. Im täglichen Geschäft ist das schon mal eine enorme Erleichterung.“ Die StVO-Novelle droht dies nun zu ändern. Die Zeiten eines Kundenstamms, mit dem die Behörde vertraut ist, könnten dann der Vergangenheit angehören. „Niemand kann aktuell vorhersehen, wie sich die Antragsströme verteilen werden. Die Behörden können personell überhaupt nicht planen und sich vorbereiten. Wir wissen jetzt schon, dass wir die Folgen hautnah zu spüren bekommen werden. Das ist ein unerträglicher Zustand!“

Das Beispiel zeigt: Neben der fehlenden Verkehrsanbindung, unzureichender Breitbandanbindung und der Probleme auf dem Fachkräftemarkt können auch gesetzliche Neuregelungen dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der produzierenden Unternehmen im heimischen Wirtschaftsraum zusätzlich zu schwächen. Gemeinsam mit der IHK fordern daher die Unternehmen, dass die Anträge auch weiterhin bei den für den jeweiligen Standort der Unternehmen des Großraum- und Schwertransportes zuständigen Verkehrsbehörden gestellt werden können.

Für Unverständnis sorgt auch eine zweite Neuregelung. Sie betrifft die Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr, die im Zuge der StVO-Novelle wirksam wird. Bislang wurden von jeder Genehmigungsbehörde unterschiedlich hohe Gebühren verlangt („kommunale Gebührenhoheit“). „Auf diese Weise entstand ein ‚Genehmigungstourismus‘ der Antragsteller. Es genügte, eine Zweigniederlassung dort zu gründen, wo niedrige Gebühren quasi zum kommunalen ‚Geschäftsmodell‘ gemacht wurden, um hiervon zu profitieren“, kritisiert Ferdinand Menn, Geschäftsführer der Spedition Menn GmbH. Das sah auch der Gesetzgeber so. Deshalb wurde eine bundesweit einheitliche Gebührenordnung entwickelt. „Dies ermöglicht zunächst einmal Vorteile. Sowohl unsere Kunden als auch wir können uns theoretisch auf transparente und nachvollziehbare Gebührenfestlegungen verlassen. Damit könnte es für uns künftig leichter werden, die für den Transport anfallenden Kosten zu kalkulieren.“

Allerdings bereitet dem Kreuztaler Unternehmer auch hier die praktische Umsetzung Sorgen: Probeberechnungen zeigten, dass die Gebühren für viele Transportkonstellationen künftig um ein Mehrfaches höher liegen werden. Fachleute gehen davon aus, dass die Genehmigungen durchschnittlich 300-400 Prozent teurer werden. Je mehr Gebührentatbestände erfasst würden, desto stärker wirke dies offenbar auf höhere Kosten hin. Derartige plötzliche Kostenexplosionen seien Kunden und Partnern nur schwierig zu erklären, meint Ferdinand Menn. Für erneute Unsicherheit sorgt zudem, dass in der Gebührenberechnung jeder Behörde ein Ermessensspielraum bei der Aufwandsbewertung zugebilligt ist. Am Ende kann es daher sein, dass wieder ungewiss ist, welche Kosten anfallen. Thomas Schneider von der Kreisverwaltung Siegen-Wittgenstein betont, dass man vorgegebene Rahmenbedingungen zwar nicht beeinflussen könne.

Gleichwohl versichert der Leiter des Kreisordnungsamtes: „Ich kann nur für den Kreis Siegen-Wittgenstein sprechen. Aber wir werden alles dafür tun, damit bei uns die Gebührenberechnung so verlässlich und nachvollziehbar wie möglich praktiziert wird. Das liegt schließlich nicht nur im Interesse der Antragsteller, sondern auch in unserem eigenen.“

Die Logistikbranche kämpft nach wie vor erheblich mit den Folgen der Corona-Krise. Die Branche erholt sich nur langsam. In einem IHK-Fachgespräch mit heimischen Speditionen wurde deshalb die Forderung formuliert, die Einführung der neuen Gebührenordnung mindestens bis Sommer 2021 zu verschieben, um die zusätzlichen Kostenbelastungen für die Industrie in dieser kritischen Phase abzuwenden. „Die gewonnene Zeit kann dann genutzt werden, um mit Praktikern zu sprechen und die Ausgestaltung der Gebührenordnung weiter zu vereinfachen“, schlägt Walter Viegener vor. Die IHK werde zu diesem Thema erneut auf die Politik zugehen und den Schulterschluss zu anderen Verbänden und Initiativen suchen. „Ziel muss sein, eine einheitliche Linie zu vertreten, wenn die politischen Gremien auf Bundesebene sich Ende des Jahres erneut hiermit befassen. Man muss offenbar einige Entscheidungsträger daran erinnern, dass sich die Regierungsparteien in der Koalitionsvereinbarung ausdrücklich dazu bekannt hatten, das Genehmigungsverfahren für Großraum- und Schwertransporte zu vereinfachen. Davon spüren wir vor Ort wenig.“

Das komplexe Genehmigungsverfahren wird bundesweit über ein Online-System „VEMAGS“ abgewickelt, auf das die Speditionen, aber etwa auch die Bundeswehr zugreifen. Auch hier treten regelmäßig Probleme auf. Derzeit sorgt hierfür eine Neuaufschaltung der Plattform („Release“), mit der eine ganze Reihe an Neuerungen einhergegangen ist. Zwar ist man vom eigentlichen Ziel einer vollautomatischen Überprüfung der angestrebten Transportroute noch ein ganzes Stück entfernt, aber die Software wird stetig weiterentwickelt. Auf Kritik stößt indes, dass dem Release offenbar kein breiter Praxischeck zugrunde lag. „In einem mehrtägigen Test bei Straßen.NRW haben einige wenige Fachleute aus der Praxis die neue Software näher geprüft. Dabei haben wir beispielsweise feststellen müssen, dass die kartenbasierte Erfassung von Routen nahezu unbrauchbar war“, berichtet Peter Bender.

Die Röpa Römer Metallbau GmbH mit Sitz in Drolshagen stellt Container für unterschiedlichste Nutzungen her. Zur Angebotspalette gehören Wohn-, Büro-, Aufenthalts-, Technik- und Sanitärcontainer. „Wir müssen teilweise mehrere nahezu baugleiche Container an ein- und denselben Zielort schaffen. Aufgrund der Abmessungen sind wir dazu auf Großraumtransporte angewiesen“, sagt Volker Römer. Der Geschäftsführer musste in diesem Jahr erfahren, dass ein wichtiges Element bei den Genehmigungen wegfiel: „Bis zum VEMAGS-Release in diesem Sommer war es möglich, Konvoi-Fahrten zu beantragen. Somit konnte für mehrere Transporte mit baugleicher Ladung ein Antrag für mehrere Fahrzeuge gestellt werden. Dies ist nun nicht mehr möglich. Stattdessen müssen für alle Fahrzeuge separate Anträge gestellt werden.“ Der bürokratische Aufwand sei enorm, von den Mehrkosten ganz zu schweigen. „Wo Begleitfahrzeuge als Auflage vorgesehen werden, bedeutet dies bei drei baugleichen Fahrzeugen eine Verdreifachung der Kosten und des Ressourcenbedarfes für die Transportbegleitung, was im Übrigen zu Lasten der Nachhaltigkeit geht“, rechnet Volker Römer vor. So würden die Transportkosten zunehmend die Margen auffressen. Das schade der Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig. „Es entstehen praktisch nur Nachteile. Es ergibt sich keinerlei Mehrwert gegenüber der vorherigen Regelung, die man besser beibehalten hätte“, ist sich der Unternehmer sicher.

Das NRW-Verkehrsministerium hat auf dieses Problem reagiert und die Bezirksregierungen gebeten, Konvois bestehend aus zwei Fahrzeugen in Nordrhein-Westfalen weiterhin zu genehmigen, wenn bestimmte Abmessungen eingehalten sind. Nicht zufriedenstellend findet das Volker Römer: „Ich glaube nicht, dass damit eine einheitliche Handhabung im Land sichergestellt ist. Außerdem: Was passiert an der Landesgrenze?“ Die Bundesländer sind sich im Umgang mit Konvoi-Fahrten wie in anderen Fragen rund um die Schwertransporte häufig uneinig. Das macht es schwierig, bundesweit einheitliche Regelungen zu treffen, die aber zwingend erforderlich sind.

Die Antragsbearbeitungsplattform VEMAGS weist in ihren technischen Möglichkeiten aus Sicht der Unternehmen noch viel Verbesserungspotenzial auf. „Wir müssen die Chancen der Digitalisierung soweit wie möglich nutzen, um hier produktiver zu werden“, betont Rainer Dango, Geschäftsführer der Dango & Dienenthal Maschinenbau GmbH. Das Unternehmen mit Sitz in Siegen ist für den Transport seiner Spezialmaschinen, wie etwa Schmiedemanipulatoren, regelmäßig auf Schwertransporte angewiesen. „Das Ziel muss lauten: Kosten senken, Sicherheit erhöhen und die Genehmigungszeiten verkürzen. Hierfür gibt es längst vielversprechende digitale Lösungen aus den Reihen der Wirtschaft“, berichtet Rainer Dango. Um sie effektiv einsetzen zu können, müssten allerdings dringend die rechtlichen Vorgaben entsprechend angepasst werden.

Ein Beispiel sind die Software-Lösungen „AGNES“ (Agile Navigation Electronic Solution) und „ERNA“ (Efficient Road Navigation Assistant) der Sommer GmbH & Co. KG, mit Sitz in Hörstel-Dreierwalde. Spezialfahrzeuge des Unternehmens scannen regelmäßig das deutsche Straßennetz, das so automatisch vermessen wird und genaueste Streckenprofile ermöglicht. Hinzu kommen Daten von Behörden, Autobahnmeistereien und bereits beschiedenen Anträgen. Auch mehrfach täglich aktualisierte veranstaltungs- oder baustellenbedingte Sperrungen fließen in die digitale Karte von AGNES ein. Über eine Schnittstelle zum behördlichen Genehmigungssystem VEMAGS wird die Eingabe von Anträgen erleichtert. Das Produkt vereinfacht nicht nur die Antragstellung und erhöht die Verkehrssicherheit, sondern steigert auch die Genehmigungswahrscheinlichkeit. Das spart wertvolle Zeit und Kosten für die Unternehmen und die Genehmigungsbehörden. Denn nach wie vor bedeutet die verweigerte Zustimmung einer von den vielen zu beteiligenden Behörden, dass die Strecke komplett neu beantragt werden muss. Mit der Softwarelösung kann dieses Risiko minimiert werden.

Die Lkw-Fahrer selbst können durch die bereits seit geraumer Zeit verfügbare App „ERNA“ desselben Anbieters deutlich entlastet werden, die in 13 verschiedenen Sprachen verfügbar ist. Das Programm gibt den Bescheid in digitaler Form wieder und funktioniert ohne weitere Bedienung während der Fahrt. Sämtliche Anweisungen, Auflagen und Hinweise werden angesagt oder mit einfachen Bildern an den Fahrer wiedergegeben. Wie vorteilhaft das sein kann, zeigt sich in Zeiten von Corona. Gewöhnlich wird der Fahrer eines Schwertransportes durch einen Beifahrer begleitet. Aufgrund der Pandemie kann der erforderliche Mindestabstand in der Fahrerkabine nicht sichergestellt werden. Die Begleitung durch einen Beifahrer muss daher unterbleiben. Der Fahrer kann unmöglich während der Fahrt die ortsspezifischen Auflagen im Genehmigungsbescheid nachschlagen, ohne Sicherheitsrisiken einzugehen. Das Verkehrsministerium NRW hatte die Chancen des Programms erkannt und seinen Einsatz in einem Erlass ausdrücklich als Alternative zum Beifahrer zugelassen. Ob dies in eine dauerhafte Lösung übergeht, ist jedoch ungewiss.

Transportbegleitung

Hoffnungen auf Vereinfachungen macht ein geplanter Systemwechsel bei der Begleitung von Schwertransporten. Speziell ausgebildetes Fachpersonal soll künftig in der Funktion eines „Beliehenen“ diese Aufgabe wahrnehmen. Anders als die derzeit eingesetzten „Verwaltungshelfer“ dürfen „Beliehene“ im Einsatz Ermessensentscheidungen vornehmen. Das bedeutet: Sie dürfen beispielsweise verkehrslenkende Maßnahmen durchführen, ähnlich wie die Einsatzkräfte der Polizei, die hierfür noch vor Jahren zuständig war. Das Personal soll nach Möglichkeit bundesweit einheitlich ausgebildet werden, um Anerkennungsprobleme an den Ländergrenzen zu vermeiden.

Die Voraussetzungen für die Übertragung der Aufgabe für den Beliehenen sind in einem Referentenentwurf für die so genannte Straßenverkehr-Transportbegleitungsverordnung (StTbV) definiert:

1. eine theoretische Schulung im Umfang von mindestens 100 Stunden bei einer nach Landesrecht bestimmten Ausbildungsstätte, die durch eine schriftliche und mündliche Prüfung erfolgreich abgeschlossen wurde,

2. die Teilnahme an einer praktischen Transportbegleitung von Sondertransporten durch die Polizei im Umfang von mindestens 70 Stunden,

3. ein Praktikum bei einer nach Landesrecht zuständigen Behörde von mindestens 30 Stunden,

4. die Vollendung des 21. Lebensjahres,

5. eine gültige Fahrerlaubnis der Klasse B und

6. umfassende Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift.

Das zuständige Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat angekündigt, die Arbeiten an der StTbV „zügig voranzutreiben.“ Zu einem Referentenentwurf haben die Bundesländer erhebliche Änderungswünsche geäußert. Die wesentlichen Regelungen sollen laut BMVI in der Bundesverordnung enthalten sein. Bestimmte Themen, wie die nähere Ausgestaltung der Ausbildung, sollen jedoch im Landesrecht geregelt werden, was eine einheitliche Regelung erschwert. Wann das Regelwerk verabschiedet wird, ist gegenwärtig völlig offen.

Schwertransporte Dauerthema

Für die IHK sind die vielen Schwierigkeiten bei den Großraum- und Schwertransporten ein Dauerthema. Sie setzt sich im steten Dialog mit der Politik auf Landes- und auf Bundesebene für Verbesserungen ein, sorgt für einen Austausch unter den betroffenen Speditionen und deren Geschäftskunden. Um politisch wirksam Einfluss nehmen zu können, initiiert und unterstützt die IHK auch wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema, mit deren Erkenntnissen sie die Forderungen der heimischen Wirtschaft an die politischen Entscheidungsträger untermauert. Mit NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst besteht ein regelmäßiger Austausch über die Bedarfe und Sorgen der Unternehmen in der Branche. Zur StVO-Novelle hat die IHK den Kontakt zu den heimischen Bundestagsabgeordneten und zum Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) aufgenommen, um in Berlin auf die Änderungen der für Großraum- und Schwertransporte relevanten Regelungen Einfluss zu nehmen. In den Fachgremien der IHK, etwa dem Industrie- und Verkehrsausschuss unter Leitung von Walter Viegener (Viega Holding GmbH & Co. KG), wird kontinuierlich über die aktuellen Entwicklungen berichtet und über eine geeignete Positionierung beraten.

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Patrick Kohlberger

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