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„vielfältich“ nennt Kurt Wiesner seine Ausstellung in der Reihe „IHK-Galerie“. Es ist – natürlich – kein Schreibfehler. „Ich habe den Titel gewählt, weil ich vielfältig arbeite“, erklärt er. Gemeint sind die unterschiedlichen Techniken, die er für seine grafischen Werke einsetzt. Sie sind „geritzt, geätzt, geschnitten und gedruckt“ und sie verbinden die technische Perfektion des Ingenieurs für Elektronik und Regelungstechnik mit künstlerischer Ausstrahlung.

Text: Brigitte Wambsganß

Foto: Privat

Ing. grad. Kurt Wiesner, Jahrgang 1943, führt in sein Atelier im Neunkirchener Zuhause. Regale voller Bücher und Materialien an den Wänden. Mitten im Raum steht „Gertrud“, eine schon betagte, aber voll funktionsfähige Tiefdruckpresse. Er hat sie in der Schweiz entdeckt und ihr den Namen ihrer Vorbesitzerin gegeben. In den Druckstock aus Kupfer, der auf der Presse liegt, hat Kurt Wiesner ein bekanntes Motiv geritzt: die berühmten Hände von Michelangelo aus der Sixtinischen Kapelle in Rom. Allerdings hat er sie für seine Tiefdruck-Radierung mit einem Smartphone zwischen den Fingern versehen. Vor dem Druckvorgang hatte der Künstler Farbe auf die Druckplatte aufgetragen und die Oberfläche abgewischt. „Die Farbe bleibt in den Vertiefungen. Die Presse drückt das feuchte Büttenpapier mit hohem Druck auf die Platte. Das Papier saugt die Farbe aus den geritzten Vertiefungen heraus“, beschreibt Kurt Wiesner das Verfahren.


Genauso gern wie der Radierung widmet er sich anderen Drucktechniken wie Lithografien, Linol- oder Holzschnitten sowie dem Buch- und Objektdruck. Welche Voraussetzung muss man mitbringen, um die Techniken der Druckgrafik zu beherrschen? „Technisches Verständnis und gutes räumliches Vorstellungsvermögen.“
Egal, welches Verfahren er anwendet: Immer entstehen optisch reizvolle Werke in kleiner Auflage, die zum genauen Hinsehen einladen. Die Radierung „Strudel“ zum Beispiel: Unzählige fein in den Druckstock geätzte kleine, unregelmäßige Flächen ziehen den Blick des Betrachters in die Tiefe des Blattes, das Zentrum des Strudels. Gestaltet hat er das Motiv mal in feurigem Gelb-Rot und mal in kühlem Blau-Grün. Die Radierung „Ausbruch“ entstand mit zwei Druckplatten in Aquatinta-Technik;
das heißt, er hat das Motiv mit Säure eingeätzt. Farben und Formen der beiden Platten verschmelzen auf dem Blatt zu einem explosiven Gebilde.

Manchmal lässt sich der Künstler von der Natur inspirieren. Die Anregung für die Radierung „Verwerfung“ bekam er beim Besuch eines Steinbruchs. Mit feinen Linien charakterisiert er die Brüche im Beige-Grau changierenden Gestein, in dessen Mitte scheinbar ein blauer Wasserfall hinabstürzt. Von der Natur angeregt sind auch seine Baummotive – wie der kahle, knorrige Baumtorso auf himmelblauem Grund. Oder das Optimismus ausstrahlende, fein gestrichelte Abbild der vom Sturm umgeworfenen und wieder aufgerichteten, mehr als 130 Jahre alten „Kreuzeiche“ bei Neunkirchen, aus der tatsächlich wieder ein paar Zweige mit Blättern sprießen. Auch der Zufall spielt bei Kurt Wiesner eine Rolle. Das schwungvolle helle, gelb-weiß-rote Zeichen, das in der Aquatinta-Radierung „Freigelegt“ aus einer dunklen blau-grünen Umgebung herausleuchtet, hat einen durchaus praktischen Hintergrund: „Ich hatte einen Fensterputzer bei seiner Arbeit beobachtet.“

Der Buchdruck gehörte fast drei Jahre zu den bevorzugten Techniken des Künstlers. Anfangs waren es mit Bleisatz gestaltete Texte aus reizvoll angeordneten einzelnen Buchstaben. Für das „magische Quadrat“ mit dem Titel „2.821.728 Wege“ kombinierte er Bleisatz und Holzschnitt – es entstand ein technisch kompliziertes, durchdachtes Werk: In vielen Richtungen ist der Satz „Wege allein oder gemeinsam“ zu lesen. Das Blatt sei eine Hommage an Paul Klee und den Weg aller Wege, den „Jakobsweg“,
sagt er. Ein kleiner Kasten mit schmalen Bleiplättchen, die im Buchdruck für die Unterstreichung von Wörtern und Sätzen genutzt werden, inspirierte Kurt Wiesner zu seinen lange Zeit typischen Streifendrucken. Sie bestehen aus scheinbar unendlich vielen zarten Linien – jede einzeln gesetzt. Er reiht oft, zum Beispiel für die Grafiken „Blauer Verlauf“ oder „Strand“, mehrere Druckstöcke aneinander. Kurt Wiesner: „Durch den Nass-in-Nass-Druck sowie durch die Farbauswahl entstehen Arbeiten, die
ein interessantes und nicht immer vorhersehbares Farbspiel aufweisen, das den Eindruck von Raum und Landschaft hervorruft.“ Hat er, bevor er mit einer Arbeit beginnt, eine exakte Vorstellung von dem Ergebnis? „Ich habe eine Idee, wie ich die einzelnen Druckstöcke herstellen muss, und hoffe, dass es so wird, wie ich es mir vorstelle.“

Kurt Wiesner liebt Experimente. Für seine Druckstöcke nutzt er nicht nur die üblichen Materialien wie Kupfer, Zink, Holz oder Linoleum. Er klebt zum Beispiel Kreppband auf Plexiglas – wie für die Arbeit „In der Gruppe“. Für jede Figurenreihe stellte er eine eigene Druckplatte mit wechselnder Farbintensität her – von hell im Hintergrund bis dunkel im Vordergrund – und erreicht damit eine frappierende Tiefe. Der Tüftler bearbeitet Druckstöcke so raffiniert, dass er sie für mehrere Farbgänge nutzen kann. Für die
Aquatinta-Grafik „Schatten“ ätzte er in die Druckplatte Streifen ein und ließ gezielt Zwischenräume frei: „Nach dem Drucken mit der ersten Farbe habe ich die Platte gedreht und sie mit der zweiten Farbe, deren Abdruck genau in die leeren Stellen des ersten Druckes passte, versehen.“ Für die malerisch wirkenden Schatten benutzte er einen zweiten Druckstock. Kurt Wiesners Kommentar: „Da kommt der Techniker durch.“ Es war ein weiter Weg zur Kunst. Zu Beginn seines Berufslebens arbeitete der gelernte Fernmeldehandwerker in einen Fernmeldebautrupp im Bergischen Land. „Irgendwann war mir das zu langweilig.“ Danach: Fachhochschulreife, Ingenieurstudium in
Furtwangen. Berufliche Karriere machte er bei Philips Deutschland – zunächst in Bremen, wo er Tischrechner entwickelte, später in Eiserfeld und Weidenau. Hier arbeitete er in der Entwicklungs- und, bis zur Werksschließung 1991, in der Marketing-Abteilung. Bis 2006 war er in der Schulung und Beratung für ein Softwarehaus tätig. Jetzt war Zeit für etwas Neues. Bis dahin hatte Kurt Wiesner zwar mit technischen Zeichnungen und mit Werbegrafik zu tun – aber nichts mit Kunst. „Ich habe allerdings schon als Jugendlicher gern gezeichnet.“ Eine Bekannte, die Künstlerin Ursel Decker, weckte sein Interesse für die künstlerische Druckgrafik: „Sie machte mich auf das ‚Brauhaus‘
aufmerksam.“ Hier, in den Werkräumen des Departements Kunst der Universität Siegen, habe er als Gasthörer bei Benno Derda und Prof. Thomas Bechinger die Grundlagen der Drucktechnik gelernt, blickt Kurt Wiesner zurück. Die Studierenden akzeptierten das „ältere Semester“: „Mehr noch: Sie zeigten mir ihre Arbeiten, fragten mich um Rat.“ Kurt Wiesner freut sich darauf, die Werkräume des Brauhauses bald wieder nutzen zu können. Seine Techniken optimiert er zudem regelmäßig in Workshops, zum Beispiel bei dem früheren Betzdorfer Kunsterzieher Helmut Dohrmann, der heute als freier Künstler in Meiborssen im Weserbergland lebt und arbeitet.

Die Industrie- und Handelskammer Siegen präsentiert die Ausstellung – als erste nach dem langen Lockdown – vom 16. Juli bis 3. September in ihrem Gebäude an der Koblenzer Straße 121 gemeinsam mit der Art Galerie Siegen. Pate der Ausstellung ist Heiko Ogorek, Geschäftsführer der GFA Gesellschaft für Absatzentwicklung und Marketing Intelligence GmbH & Co. KG, Siegen. Führungen durch die Ausstellung bietet Kurt Wiesner am 28. Juli und am 18. August jeweils um 15:30 Uhr an. Erforderliche Anmeldung unter: www.ihk-siegen.de/fuehrung1 (28. 7. 2021) und www.ihk-siegen.de/fuehrung2 (18. 8. 2021).

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