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Händler und ihr Weg durch die Pandemie: „Sich selbst immer wieder neu erfinden“

Text: Patrick Kohlberger, Fotos: Carsten Schmale

„Händler müssen wieder handeln dürfen“ – mit einem dringenden Appell wandten sich heimische Einzelhändler vor rund einem Monat an die Politik. Sie richteten eine entsprechende Resolution an die Entscheider auf Bundesebene. Tenor: Es braucht eine klare Öffnungsperspektive – und vor allem ein staatliches Agieren, das verhältnismäßig ist und dem Grundsatz der Gleichbehandlung folgt. Im zweiten Teil der Titelgeschichte erklären drei hiesige Unternehmer, worin sie die wichtigsten Kritikpunkte sehen. Der erste Part jedoch thematisiert einige ermutigende Beispiele, die zeigen, dass es trotz aller Schwierigkeiten auch ein paar Lichtblicke gibt.

„Es kann nur mit Flexibilität und Zuversicht vorangehen“, beschreibt Arnold Vogt seine wichtigste Prämisse. Er führt gemeinsam mit seiner Ehefrau Anke Vogt den Genussladen „Schenken + Genießen“ in Lennestadt-Grevenbrück. Die beiden erfahrenen Unternehmer haben in den vergangenen Jahren bereits viele knifflige Lagen gemeistert und schließlich im vergangenen Frühjahr auch die mit COVID-19 einhergehenden Herausforderungen sofort angenommen. In der Pandemie kommt den Betreibern ihre Krisenfestigkeit merklich zugute. Vor rund einer Dekade hatten sie begonnen, ihren Laden – seinerzeit noch als Gärtnerei und Blumenfachgeschäft geführt – in einen Genussladen mit edlen Speisen, Gewürzvariationen und erlesenen alkoholischen Spezialitäten umzuwandeln.

„Wir haben einfach gemerkt, dass unser Konzept auf Dauer nicht erfolgreich bleiben kann“, erinnert sich Arnold Vogt, der selbst zertifizierter Gärtnermeister ist. Neue Zielsetzung damals: eine breite Kundschaft mit einem Angebot erreichen, das man in dieser Form woanders nicht bekommt. Das Konzept sollte sich auszahlen. Und der Fokus darauf, immer mit der Zeit zu gehen, verschafft den Sauerländern zurzeit die Grundlage, auch die Corona-Zeit gut zu überstehen. Bereits 2017 hatte das Inhaberpaar mithilfe professioneller Software einen Onlineshop (genussladen.info) installiert. Anfangs als eine Art „digitales Schaufenster“ gedacht, ist er inzwischen längst zu einem eminent wichtigen Vertriebskanal avanciert. Hohe Beratungskosten sparten sich die beiden Unternehmer, indem sie sich mit jeder Menge Aufwand und Akribie selbst in die technischen Hintergründe einarbeiteten, im privaten Umfeld für kleines Geld Expertise in Anspruch nahmen und ein eigenes Layout entwickelten. „Das Ganze hat zwar einige Monate gedauert, aber es war unser Ansporn, mit möglichst geringen Aufwendungen online sichtbar zu werden. Und das haben wir erreicht.“

Nachdem „Schenken + Genießen“ 2018 mit einem seiner Produkte in einem bundesweit erscheinenden Wochenmagazin auftauchte, vergrößerte sich der Aktionsradius schlagartig. Heute zählen auch Genussfreunde aus Berlin oder München zu den treuen Kunden. Sie alle können im Onlineshop aus einer stetig steigenden Vielfalt kulinarischer Spezialitäten auswählen. Die für das Ladengeschäft ruhige Phase des ersten Lockdowns vor einem Jahr nutzten Arnold und Anke Vogt, um das Online-Portfolio nochmals auszuweiten. Was aber noch fehlte, war die notwendige Schnittstelle, die das Lager abdecken konnte. Hier kam dann schließlich das Land NRW ins Spiel. Über das Programm „Digitalen und stationären Handel zusammendenken“ erhielten die Lennestädter eine Fördersumme von rund 1.000 €. Innerhalb von 14 Tagen war das Geld auf dem Konto.

Alsbald entwickelte Arnold Vogt eine „eigentlich ganz simple Idee“, wie er selbst schmunzelnd einordnet: den deutschlandweit ersten „Genießer-Drive-in“. Unter dem Motto „Mit Sicherheit genießen“ können Kunden ihre Ware hier völlig kontaktfrei abholen. Das Prinzip dahinter ist einfach: Im Onlineshop wählt man seine Wunschprodukte aus. Bei der Abwicklung des Bestellvorgangs gilt es dann, die gewünschte Zahlungsart auszuwählen, die Drive-in-Option anzuklicken und abschließend ein Zeitfenster für die Abholung am Geschäft in der Kölner Straße zu bestimmen. Dort angelangt, wählen die Kunden die Telefonnummer des Ladens, woraufhin sie die Ware direkt ans Auto gebracht bekommen.

Das Ganze hat sich schnell herumgesprochen. „Gekostet hat mich die Umsetzung dieser Idee vielleicht 12,50 € – für zwei Hinweisplakate, die ich auf dem Vorplatz angebracht habe“, lächelt Arnold Vogt. Auch in puncto Aufrufe des Onlineshops vermochte der „Genießer-Drive-in“ bereits eine ganze Menge zu bewirken: „Jeder zweite Kunde wusste bis vor einigen Monaten noch gar nichts von unserem Online-Angebot. Mittlerweile weiß ich aus vielen Gesprächen, dass sich das nachhaltig geändert hat.“ Die Flexibilität, mit der die Ladenbetreiber die Corona-Situation angenommen haben, kommt gut an. Das zeigte sich auch daran, dass sich zum Beispiel zahlreiche heimische Firmen angesichts der ausgefallenen Weihnachtsfeiern im Dezember dafür entschieden, ihren Kunden trotzdem etwas Gutes zu tun – mit Präsentkörben von „Schenken + Genießen“. Rund 800 dieser Pakete konnte das Ehepaar Vogt im Winter schnüren. „Für uns ist die positive Resonanz eine schöne Bestätigung unserer Arbeit“, erklären beide.

Die Hoffnung auf eine allgemeine gesellschaftliche und wirtschaftliche Aufhellung in den kommenden Monaten bringen die Feinkost-Pioniere übrigens auch auf ihren aktuellen, kostenlosen Grußkarten zum Ausdruck. „Ob gut, ob schlecht das Jahr auch sei, ein bisschen Frühling ist immer dabei“, erinnern sie an die Worte des deutschsprachigen Philosophen Fritz Mauthner.

Optimismus strahlt auch Christian Gall, Experte für Schreibwaren und Bürobedarf, aus. Der Inhaber des im Herzen von Bad Berleburg gelegenen Geschäftes „BUNTSTIFT“ hat sich ab dem ersten Lockdown konsequent nach neuen Möglichkeiten des unternehmerischen Handelns in dieser herausfordernden Zeit umgeschaut. Er nutzte die Expertise von IHK-Mitarbeiter Boris Edelmann, um eine umfassende Social-Media-Präsenz aufzubauen. „Vorher hatte ich nicht mal privat einen Facebook-Account“, blickt er zurück. Die Gespräche hätten ihm daher sehr dabei geholfen, die Denkweise verschiedener Zielgruppen besser zu verstehen und den Kunden somit optimal entgegenzukommen.

Bei Jugendlichen und jungen Familien sei Instagram zurzeit das gefragteste Medium, unterstreicht Gall. „Es ist toll zu sehen, was für einen guten Dialog wir dort mit den Menschen führen können. Die Beratungssituation im Laden wird man natürlich nie 1:1 ersetzen können, aber der digitale Weg ist in ,normalen‘ Zeiten eine sinnvolle Ergänzung – und in der aktuellen Situation absolut nicht mehr wegzudenken.“ Über die sozialen Medien gelinge es, die eigene Reichweite in ganz erheblichem Maße zu steigern und sich auf dem schnelllebigen Markt zu behaupten. Ein Stück weit müsse man sich immer wieder neu erfinden, ermutigt Christian Gall andere Unternehmer.

Im Jahr 2020 hat der Wittgensteiner aber nicht nur begonnen, seine Inhalte auf Facebook und Instagram an den Mann und die Frau zu bringen. Eine sehr erfolgreiche Zwischenbilanz zieht er gleichermaßen aus der bisherigen Pflege seines neuen Accounts auf dem Online-Marktplatz eBay. Unter dem Namen „Buntstift Office & Craft Shop“ präsentiert das Unternehmen sein Portfolio hier einer breiten Öffentlichkeit. Der Clou: Durch einen neuen Mitarbeiter, der aus einer anderen Branche stammt, hat sich das Portfolio deutlich ausgeweitet. „Wir haben unsere jeweiligen Bereiche zusammengeführt und können den Kunden jetzt neben unseren bisherigen Produkten zum Beispiel auch Schrauben, Gewinde und Bodenträger anbieten“, betont Gall. Guten Umsatz generiere man aber auch mit normalem Bürobedarf – von Briefumschlägen bis hin zu Stiften. Eines freut den Inhaber besonders: „Unser Aktionsradius vergrößert sich stetig. Online finden uns immer mehr Kunden aus allen Bundesländern. So etwas wäre natürlich mit dem rein stationären Geschäft niemals möglich.“

Insofern werde man auch nach der Pandemie großen Wert darauf legen, die sozialen Medien, den eBay-Auftritt sowie den klassischen Onlineshop für Gewerbetreibende behutsam zu pflegen. Mindestens ebenso bedeutend sei es jedoch, das Geschäft vor Ort wieder anzukurbeln, sobald die politischen Beschlüsse dies zuließen. Zurzeit bauen die Mitarbeiter den Laden umfangreich um. Sie installieren im hinteren Bereich eine Verpackungsstation, um die logistischen Arbeitsbedingungen nochmals zu optimieren. Am wichtigsten jedoch ist Christian Gall der direkte Kontakt zu den Kunden: „Beratung, Begleitung und auch einfach mal ein schöner Plausch zwischendurch: Das macht diesen Job am Ende des Tages so lohnenswert.“

Einen kreativen Weg, mit der schwierigen pandemischen Situation umzugehen, hat indes auch Thomas Baumgarten gefunden. Der Inhaber des Modehauses Geisweid erkannte früh, dass es in dieser Krisenzeit darauf ankommt, flexible, pragmatische und zielgruppenspezifische Lösungsansätze zu entwickeln. Ganz bewusst nutzt auch er in diesem Kontext die Chance, seine Online-Präsenz auszuweiten. „Und das, obwohl meine Neigung zu den digitalen Medien eigentlich gar nicht so stark ausgeprägt war“, wie er augenzwinkernd hinzufügt. Die digitale Sichtbarkeit werde in der heutigen Zeit immer bedeutsamer. Schon vor der Pandemie hatte der Siegerländer seine Homepage als Möglichkeit, das eigene Sortiment bekannter zu machen, etabliert.

Über einen klassischen Onlineshop als direkten Vertriebskanal verfügte er indes nicht. Daran hat sich auch jetzt nichts geändert – aus einem einfachen Grund: „Ich kann und möchte in meinem spezifischen Segment nicht mit großen Anbietern wie Amazon konkurrieren. Die Energie und die Ressourcen spare ich mir lieber für andere Überlegungen.“ Auch Baumgarten suchte den Austausch mit IHK-Mitarbeiter Boris Edelmann, der ihn dabei unterstützte, einen Social-Media-Auftritt zu installieren. Seitdem können sich die Kunden des Modehauses via Facebook über aktuelle Kollektionen und Trends informieren – und letztlich auch darüber, wie das früher unter dem Namen „Hüttenkonsum“ bekannte Traditionsgeschäft in der Marktstraße trotz der Covid-19-Krise am Ball bleibt.

Regelmäßig zeigt der Inhaber verschiedene Auszüge aus seinem Kleidungsportfolio. Kunden haben jederzeit die Möglichkeit, per Kommentar oder persönlicher Nachricht zu reagieren und sich so ganz unkompliziert von zuhause beraten zu lassen. Wer möchte, kann bei Thomas Baumgarten Waren bestellen und diese dann auf ganz unterschiedlichen Wegen in Empfang nehmen. Täglich von 9 bis 12 Uhr ist der Inhaber in seinem Laden. „Meine Kunden können in diesem Zeitfenster vorbeikommen, um ihren Einkauf abzuholen“, erklärt er. Zudem beliefert er kostenlos – längst nicht nur in Geisweid. Auch Käufer aus weiteren Stadtteilen Siegens oder etwa aus Kreuztal machten bereits von dem Angebot Gebrauch. Über diese Optionen gelingt es, den Kontakt mit der Zielgruppe während der Pandemie aktiv zu pflegen und mit der Vielfalt des Ladensortiments im Gespräch zu bleiben.

Eines jedoch stellt der Unternehmer auch klar: „Wirtschaftlich sind es momentan sehr schwierige Zeiten – für mich, aber natürlich auch viele meiner Kollegen in der Branche.“ Im Januar beispielsweise habe er trotz der genannten Vertriebsbemühungen lediglich 25 % des üblichen Monatsumsatzes generiert – eine Bilanz, die auf Dauer nicht folgenlos bleibe. Auf die vonseiten der Regierung versprochene Unterstützung sei ebenfalls kein Verlass: „Bisher habe ich keinen einzigen Cent erhalten.“ Von der Politik fühle er sich im Stich gelassen. „Ich bin seit 1994 selbstständig, investiere unheimlich viel Zeit und Energie, hatte meinen letzten freien Tag vor drei Jahren – und trotzdem bleibt mir jetzt nur der Schritt, sukzessive meine eigenen finanziellen Reserven anzuzapfen.“ Fehlende monetäre Hilfe und vor allem die mangelnde Öffnungsperspektive hätten ihm monatelang Kopfschmerzen bereitet. „Wenn dann in der öffentlichen Diskussion zum Teil noch Sätze wie ,Mode braucht man halt momentan nicht‘ fallen, tut das zusätzlich weh.“

Umso dankbarer ist Thomas Baumgarten für seine treue Kundschaft – und auch für die wertvollen persönlichen Kontakte: „Zu meiner Zielgruppe gehören viele ältere Menschen. Einige von ihnen sind nur noch eingeschränkt mobil und haben in der Pandemiezeit kaum Verbindungen nach außen. Für sie – und auch für mich – ist es eine große Freude, wenn ich vorbeikomme, ihnen die Ware bringe und mir ein paar Minuten Zeit für ein schönes Gespräch nehme.“

Über genug Arbeit trotz der schwierigen Rahmenbedingungen kann sich Claudia Günther, Inhaberin der Buchhandlung Braun in Neunkirchen, freuen. Gemeinsam mit ihrem Team hat die Unternehmerin gleich mehrere Wege gefunden, um auch in Zeiten des Lockdowns nah an der Kundschaft zu bleiben. Auch sie beweist, dass mitunter schon ganz einfache Ideen große Wirkung entfalten können. Ihr Geschäft hat im vergangenen Jahr damit begonnen, den ohnehin bereits etablierten Onlineshop noch besser zu nutzen und vor allem für den Käufer noch angenehmere Bedingungen zu schaffen – mit einer sehr pragmatischen Überlegung: „Wir bieten online mittlerweile die Möglichkeit der Botenlieferung. Die Ware kommt also bei uns an, und wir bringen sie persönlich beim Kunden vorbei.“

Die Buchhandlung würde mit ihrer überwiegend aus Teilzeitkräften bestehenden Belegschaft schnell an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, wenn sie bei dieser Aufgabe auf sich allein gestellt wäre. Um genau dies zu verhindern, suchte Claudia Günther früh den Kontakt zu Kathleen Benevolo, der Inhaberin der Hellerthaler Hirsch Apotheke und der A-Vita Apotheke. Beide kennen sich seit vielen Jahren und pflegen ein freundschaftliches, kollegiales Miteinander. Schnell einigten sie sich darauf, dass die Buchhandlung an den Lieferfahrten der Apotheken partizipieren kann. „Das ist eine absolute Win-win-Situation“, verdeutlicht Günther. „Wir können jeweils ganz unkompliziert füreinander werben. Vor allem aber – und das ist das Wichtigste – bietet sich unseren Kunden so die Möglichkeit, bestellte Artikel quasi in Rekordzeit an der eigenen Haustür in Empfang zu nehmen.“

Ein fester Stamm von Fahrern bindet die Bestellungen der Bücherfreunde nun schon seit einigen Monaten in seine Nachmittagstouren ein. Jeden Morgen bringen Claudia Günther und ihre Kollegen eine entsprechende Auftragsliste sowie die fertig gepackten Tüten für die Auslieferung in die Apotheke. Diese Kooperation stößt auf hervorragende Resonanz bei den Käufern. „Viele von ihnen bedanken sich persönlich oder schriftlich bei uns und freuen sich über die schnelle Lieferung, mit der wir teilweise ja sogar noch am selben Tag zur Stelle sind.“ Ein in den Online-Shop eingebautes Ampelsystem klärt Interessierte zu jeder Zeit darüber auf, ob ein Artikel gerade im Lager vorhanden ist. „Ist die Ampel auf Grün, sind wir schneller beim Kunden als der große Onlineversandhändler mit den sechs Buchstaben“, zwinkert Günther. Die Zusammenarbeit mit den heimischen Apotheken werde auch nach der Corona-Pandemie weiter Bestand haben.

Auf den gängigen Social-Media-Kanälen sind die digitalaffine Inhaberin und ihre Kollegen ebenfalls bereits seit Jahren sehr aktiv. Während der Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen hat das Team dieses Instrument nochmals deutlich ausgebaut. Über Facebook und Instagram stellt die Buchhandlung regelmäßig verschiedene Auszüge ihres Sortiments vor. „Dabei gilt natürlich: Je persönlicher und authentischer wir die Kunden ansprechen, desto besser. Vorgefertigte Videos der Verlage möchte niemand sehen.“ Wichtig sei zudem, dass es keineswegs auf Perfektion ankomme. „Ein Video darf auch mal leicht verwackelt sein. Wir wollen mit unserer Online-Präsenz einfach zeigen, dass wir nah an den Menschen sind und uns der Dialog sehr am Herzen liegt.“

Genau diese Zielsetzung steht auch hinter dem Newsletter, den die Neunkirchener bereits vor einigen Jahren etabliert haben. Inzwischen erreichen sie mit diesem Angebot knapp 500 Abonnenten – Tendenz steigend. Das inhaltliche Spektrum reicht von allgemeinen Informationen in puncto Buchneuheiten über themenspezifische Zusammenstellungen bis hin zu kritischen Büchern, die auch ruhig mal polarisieren dürfen. „Wir wollen ja Raum für Diskussion und Austausch schaffen.“ Insgesamt biete der digitale Weg viele Optionen, um Kunden zu informieren und so letztlich auch für die Lieferung an die Haustür zu werben.

Eine Abholung der Waren vor Ort ist bei vorheriger Terminvereinbarung während der üblichen Geschäftszeiten ebenfalls möglich. Auch wenn das Konzept sehr gut funktioniert und die Buchhandlung Braun so einen Teil der Umsatzverluste kompensieren konnte: Der persönliche Kontakt zu den Kunden ist für Claudia Günther durch nichts zu ersetzen. „Natürlich kann man auch am Telefon beratend einwirken, aber es ist einfach viel schöner, mit den Menschen hier im Laden zu sprechen.“ Dies sei für das gesamte Team ein ganz zentraler Punkt: „Eine meiner Mitarbeiterinnen hat sogar extra ihren Urlaub vorgezogen, um die ersten Tage nach der Wiedereröffnung beratend im Geschäft verbringen zu können.“

Staatliche Hilfen hat die Buchhandlung Braun indes im Zuge der Pandemie im Jahr 2020 nicht in Anspruch genommen, da die Umsätze erfreulicherweise nicht zu stark eingebrochen sind. Nun beantragt man jedoch die Überbrückungshilfe III. Über das von der Bundesregierung initiierte Rettungs- und Zukunftsprogramm „NEUSTART KULTUR“ haben die Siegerländer zudem die Zusage für eine Unterstützung in Höhe von 4.800 € erhalten. Diese Summe dient ganz konkret dazu, digitale Vertriebswege zu stärken. Mit dem Geld können die Verantwortlichen entsprechende Hardware – von Tablets über E-Book-Reader bis hin zu Laptops – anschaffen und zudem Mitarbeiterschulungen im Bereich der Digitalisierung finanzieren. Mannigfaltige Unterstützung bietet darüber hinaus der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der mit juristischer Expertise und verschiedensten Möglichkeiten der Vernetzung zur Verfügung steht.

Einzelhandel kritisiert Politik

Die genannten Beispiele stehen stellvertretend dafür, dass Händler einiger Branchen mit Kreativität, Flexibilität und Mut einen Teil der durch die Pandemie erlittenen Verluste kompensieren und sich den Umständen entsprechend gut für die kommenden Monate positionieren können. Gleichwohl aber bleiben die Kritikpunkte, die der heimische Einzelhandel gegenüber der Politik formuliert hatte, bestehen. Auch das am 22. März ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster änderte daran nichts. Das Gericht hatte bestätigt, dass mit der Wiedereröffnung von Geschäften einzelner Branchen der Gleichheitsgrundsatz verletzt wurde. Auch die Kundenbegrenzung pro m² und die verpflichtende Terminbuchung vor dem Einkauf wiesen die Juristen als nicht hinreichend begründet zurück. Eine kurzfristige generelle Öffnung des Einzelhandels ohne Restriktionen war die Folge. Doch das Land NRW reagierte prompt, indem es in seiner neuen Corona-Schutzverordnung die erst kürzlich erfolgten Lockerungen für Baumärkte, Buchhandlungen und andere Geschäfte wieder zurücknahm. Schärfere Restriktionen für alle Geschäfte des Einzelhandels sind die Folge.

Interview mit Thomas Weissner (Geschäftsführer der Leder Jaeger GmbH mit Sitz in Siegen)

Thomas Weissner, Geschäftsführer der Leder Jaeger GmbH mit Sitz in Siegen, ist der Initiator der Einzelhandels-Resolution. Im Gespräch mit Wirtschaftsreport-Redakteur Patrick Kohlberger erklärt er, worin er die größten Probleme sieht, welche Kritik er an die Politik adressiert und was Händler aus seiner Sicht tun müssen, um sich bestmöglich aufzustellen.

 

Wie heftig sind die wirtschaftlichen Schäden, die dem heimischen Einzelhandel in den vergangenen Monaten entstanden sind?

Es handelt sich hier um eine wirtschaftliche Katastrophe. Da muss man gar nicht um den heißen Brei herumreden. Freilich lässt sich ein Teil der Verluste kompensieren – etwa durch Instrumente wie die Kurzarbeit oder auch durch die Überbrückungshilfe III, die wir zuletzt beantragt und erhalten haben. Das ist aber letztlich nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Uns fehlen mit Gesamtblick auf unsere acht Filialen monatlich rund 80 % der in „normalen“ Zeiten generierten Umsätze. Es bleibt also dabei: Einen adäquaten Ersatz für das stationäre Geschäft gibt es für uns nicht. In diesen Zeiten unter den von der Politik vorgegebenen Bedingungen rentabel zu arbeiten, ist also mitnichten möglich.

Trotz dieser schwierigen Umstände standen Sie Ihren Kunden über die ganzen Monate hinweg auf unterschiedlichsten Wegen zur Verfügung – von Ihrem Onlineshop über die Social-Media-Kanäle bis hin zu „Click and Collect“ und dem Angebot, die Waren an die Haustür zu liefern. Warum sind Ihnen diese Dinge besonders wichtig?

Für uns ist die Nähe zu unseren Kunden das Allerwichtigste. Wir wollen präsent bleiben und den Menschen zeigen, dass wir für sie da sind – auch und gerade in dieser Zeit. Wirtschaftlich ist es für uns vergleichsweise schwerer, da wir normalerweise einen hohen Umsatzanteil mit Reisegepäck generieren. Dieses Segment ist momentan am Nullpunkt angekommen, da natürlich niemand reisen kann. Auch die Auslieferung von Artikeln bis an die Haustür ist – je nach Fahrzeit – eher ein Minusgeschäft. Aber wir wollen den Kopf oben behalten und ganz gezielt die Bindung zu unseren vielen treuen Kunden pflegen. Hier am heimischen Standort ist das natürlich besonders wichtig. Das Ganze hat also mehr einen psychologischen als einen wirtschaftlichen Hintergrund.

Wie nehmen die Kunden Ihre Bemühungen auf? Bekommen Sie viele Rückmeldungen?

Die Angebote kommen erstaunlich gut an. Das gilt auch für die „Click-and-Meet“-Option. Die Kunden nutzen diese Möglichkeit gerne und kommen dann zu einer festgelegten Zeit in unsere Läden – auch wenn das Einkaufserlebnis natürlich längst nicht so schön wie zu früheren Zeiten ist. Was besonders gut ankommt, ist die ungewohnte Ruhe, die die Kunden bei beratungsintensiven Käufen genießen. Wenn zum Beispiel Eltern mit ihrem Kind vorbeikommen, um einen Schulranzen auszuwählen, ist es für sie wirklich schön, dass der Laden leer ist. Sie können dann in aller Ruhe einen Ranzen aussuchen und spüren von der ersten Sekunde an unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.

Sie haben eingangs die staatlichen Förderinstrumente angesprochen und geschildert, dass die Mittel nicht ausreichen, um die Verluste zu kompensieren. Was macht die Situation gerade für Einzelhändler wie Sie so besonders schwierig?

Die Überbrückungshilfen setzen erst bei einem Umsatzrückgang von 30% ein, sind wesentlich zu grob gestaffelt und gleichen nur einen Bruchteil der verbleibenden Personalkosten aus. Diese machen aber im Einzelhandel circa 50% der Gesamtkosten aus. Neben der Verlustfinanzierung wird die Liquidität durch den gestörten Warenfluss beansprucht. Wir ordern zum Beispiel die Artikel für unsere Läden jeweils mit bis zu sechs Monaten Vorlauf. Dementsprechend haben wir im Juni die Artikel für das Weihnachtsgeschäft bestellt. Der neuerliche Lockdown ab November hat unsere Planung dann über den Haufen geworfen. Man muss als Unternehmen schon wirklich liquide sein, um solche Belastungen stemmen zu können. Das mag über eine gewisse Zeit hinweg funktionieren, aber die Kapazitäten sind natürlich endlich. Das Schlimmste ist einfach die fehlende Planungssicherheit.

In der Resolution, die Sie angestoßen haben, geht es auch darum, dass sich der Einzelhandel im Vergleich zu anderen Branchen ungerecht behandelt fühlt. Wo liegen in diesem Kontext Ihre Kritikpunkte?

Ein ganz einfaches Beispiel: Wir hatten nach der Wiedereröffnung im letzten Jahr an unseren zahlreichen Standorten insgesamt 150.000 Kundenkontakte, bis der zweite Lockdown verhängt wurde. Keinem unserer Mitarbeiter ist in dieser Zeit irgendetwas passiert. Es hat sich niemand infiziert. Natürlich kann man nie alle Gefahren ausschließen, aber wir verfügen, wie auch sehr viele andere Einzelhändler, über ein exzellentes Hygienekonzept – von einem adäquaten Luftaustausch bis hin zum selbstverständlichen Tragen medizinischer Masken. Für Kunden und Mitarbeiter ist das Risiko daher sehr gering. Trotzdem mussten wir schließen, während Unternehmen aus anderen Branchen unentwegt ihrer Arbeit nachgehen konnten. Das ist ungerecht und nicht nachvollziehbar. Ich habe grundsätzlich wirklich Verständnis für die Komplexität der Entscheidungen, die die politisch Verantwortlichen treffen müssen. Aber es fehlt leider seit vielen Monaten ganz erheblich an Augenmaß, Transparenz und vor allem an validen Grundlagen, die zu den Beschlüssen führen. Und wenn man uns unterstützen will, ist es mit einer einfachen Überbrückungshilfe nicht getan. Wir werden zwangsenteignet und im Regen stehen gelassen.

Wie sollte die Politik den Einzelhandel denn aus Ihrer Sicht unterstützen?

Wir wollen keinen Ausgleich für entgangenen Gewinn. Was wir brauchen und auch fordern, ist ein angemessener Ausgleich für den massiven Vermögensschaden, den wir erleiden. Da muss der Staat eine vollständige Kompensation leisten. Wir prüfen als Sonderopfer der pandemischen Lage eine mögliche gesetzliche Anspruchsgrundlage auf einen Ausgleich des Vermögensschadens. Es wird vermutlich bald zu einer großen Klagewelle kommen. Mit ganz klaren Regelungen und einer gezielten Unterstützung der genannten Art hätte die Politik auch den gigantischen Verwaltungsaufwand verhindern können, der momentan zu Tage tritt – ganz zu schweigen von den Machenschaften einiger Betrüger, die das System auszunutzen versuchen. Wichtig ist aber zugleich trotz aller berechtigten Kritik auch, dass es seitens der Unternehmer kein generelles Meckern ohne Sinn und Verstand geben darf.

Wie meinen Sie das?

Man darf und soll Kritik üben. Das ist wichtig. Aber es ist nicht richtig, per se alles auf dem Staat abzuladen. Wir Einzelhändler müssen immer auch unsere eigenen Hausaufgaben machen. Das fängt bei einem guten Rechnungswesen an. Eigenverantwortung und Selbstreflexion sind ganz entscheidende Faktoren. Wir haben mit den Führungskräften auch eine kritische Bilanz für unsere Strategie gezogen und stellen uns gerade entsprechend für die Zukunft auf. Uns ist es wichtig, Investitionen zu tätigen und uns der zunehmenden Vertikalisierung im Einzelhandel zu stellen. Wir verbessern die Logistik in unseren Filialen, beziehen ein neues Betriebsgebäude und erneuern unser Marketingkonzept. Und nicht zuletzt: Bei der viel zitierten Digitalisierung im Einzelhandel geht es eben nicht nur um Onlineshops und Social-Media-Aktivität. Wir digitalisieren und automatisieren konsequent unsere internen Prozesse.

„Ein Schlag ins Gesicht“

Henrik Enders, Geschäftsführer der Maiworm Mode KG

Die Beschlüsse aus Berlin und Düsseldorf sind ein absoluter Schlag ins Gesicht für alle Einzelhändler, die verantwortungsbewusst mit der pandemischen Lage umgehen und gute Konzepte erarbeitet haben. Den Entscheidungen der Politik mangelt es an Verhältnismäßigkeit und Fairness. Für die Arbeit unserer Modegeschäfte ist das Wohl der Kunden und Mitarbeiter das höchste Gut. Entsprechende Hygienevorkehrungen sind für uns eine Selbstverständlichkeit. Dass wir trotz sehr geringen Ansteckungsrisikos in unseren Läden monatelang schließen müssen und derart harten Restriktionen unterliegen, während sich beispielsweise in den Discountern dutzende Kunden ohne Abstand an den Klamotten-Wühltischen tummeln, erschließt sich mir nicht. Das kommt einer Enteignung gleich. Die Politik macht die Einzelhändler zu Bauernopfern, anstatt klare Perspektiven zu schaffen. Von der Förderung ist noch kein Cent auf unserem Konto eingegangen.

„Nicht mehr nachvollziehbar“

Tanja Even, Inhaberin der „Oranien-Truhe“

Was momentan passiert, ist nicht nur grob unfair, sondern vor allem nicht mehr logisch nachvollziehbar. Wir Einzelhändler sind die Leidtragenden der politischen Entscheidungen, die man mittlerweile absolut in Frage stellt. Mehrere Geschäfte am gleichen Ort durften während des gesamten Lockdowns die Ware verkaufen, die bei mit hinter verschlossener Türe stand. Dort wurden über die Monate hinweg auch Dekorations- und Geschenkartikel verkauft, während mir die Öffnung untersagt war. Solche Beschlüsse entbehren jeder Grundlage und machen mich wütend – zumal ich die Sicherheit bei einem Einkauf in einem kleineren Einzelhandelsgeschäft um ein Vielfaches höher bewerte als bei einem Einkauf im Supermarkt oder im Drogeriemarkt. Seit dem ersten Tag des neuerlichen Lockdowns müssen wir Inhaber mal wieder an unsere privaten Ersparnisse gehen, die doch eigentlich mal für die Altersvorsorge gedacht sein sollten. Extrem dankbar bin ich meinen treuen Kunden, die zum Beispiel jetzt im Winter bei eisiger Kälte das Angebot der „Türtheke“ in Anspruch genommen und mich damit unterstützt haben. Aber natürlich herrscht bei vielen eine höhere Hemmschwelle, wenn das Einkaufserlebnis derart sperrig ist. Das gilt auch für die Option, sich einen fixen Termin mit festgelegtem Zeitkorridor zu machen. Mit entspanntem Shoppen hat das nichts zu tun. Und dann ist eine Öffnung sogar schnell noch kostspieliger, als den Laden zuzulassen.

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