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Nr. 079: „Die Renaissance der wirtschaftlichen Staatskunst“ - Bestandsaufnahme zu Chinas Wirtschaft von Prof. Dr. Markus Taube bei IHK

9. November 2023/ Jahrzehntelang erlebte Chinas Wirtschaft einen rasanten Aufschwung. Hiervon profitierte nicht zuletzt die deutsche Wirtschaft, auch in unserer Region. Dann kamen die Krisen. „Das chinesische Wirtschaftswunder geriet ins Stocken. Vor allem aber die westliche Erwartung, China werde im Rahmen seines wirtschaftlichen Wachstums stetig weiter den Weg der Marktwirtschaft einschlagen und womöglich auch zunehmend von seinem staatlich geprägten Wirtschaftsmodell Abstand nehmen, sieht sich enttäuscht. China wandelt sich in der Wahrnehmung“, eröffnete Jens Brill, Außenwirtschaftsleiter der IHK Siegen, eine Veranstaltung, die auf Einladung der IHK sowie der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft Siegen e.V. Prof. Dr. Markus Taube vor heimische Unternehmensvertreter führte.

Prof. Dr. Markus Taube, Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China der Mercator School of Management und zugleich Ko-Direktor des Konfuzius-Instituts Metropole Ruhr, ist ein ausgewiesener Ostasien-Kenner. Ihm kam die Aufgabe zu, eine erste Bestandsaufnahme zu Chinas Wirtschaft nach der Covid-Krise und der Zeitenwende zu geben. Demnach zeigt der Industriesektor Chinas derzeit wenig Belebung. Die Folge: China agiert mit staatlichen Investitionsprogrammen: „Staatsunternehmen sind in China gerade der Regierungspartner der Stunde“, erläuterte Taube. Zentrale Aufgabe sei die Bewältigung der chinesischen Immobilienkrise, die erhebliche Ausmaße angenommen habe. Dennoch gab sich der Experte überzeugt, dass die von der chinesischen Regierung aufgelegte Regulierungsoffensive sowie der „16-Punkte-Reformplan für die Immobilienwirtschaft“ mittelfristig erfolgreich sein dürften. 

Eine weitere Herausforderung: die sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit von 21 % (Juni 2023), die Taube auf strukturelle Fehlanpassungen von qualifizierter Ausbildung und Bedarf zurückführte. Aber auch dieses Problem werde China nicht nachhaltig schwächen, zumal das chinesische Ausbildungssystem erheblich flexibler als in Deutschland und der EU sei: „Was wir in China erleben, sind nachvollziehbare Übergangsprobleme aus der Corona-Krise heraus. Nichts davon ist geeignet, die chinesische Wirtschaft in den Abgrund zu führen. Generell muss sich die chinesische Volkswirtschaft derzeit verändern, weil sie nicht mehr von kopierendem, von nachholendem Wachstum lebt. Sie vollführt vielmehr einen Neubeginn in technologisch vorderster Reihe.“

Ausführlich widmete sich der Fachmann der China-Strategie der Bundesregierung, die einen Spagat zwischen dem Anerkenntnis der eigenen ökonomischen Abhängigkeit und wertemäßiger Selbstbehauptung vornehme. Positiv sei, dass man sich mit China ressortübergreifend und intensiv beschäftigt habe. Eine Signalwirkung nach China hinein sei erzielt worden. Allerdings sieht der Referent in dem Strategiepapier auch ein Misstrauen gegenüber den China-Aktivitäten der deutschen Wirtschaft, ebenso wie einen „fehlenden Glauben in die Gestaltungskraft des Marktes“. Besorgniserregend sei, wie die deutsche Wirtschaft in Teilen „entmündigt“ werde, etwa um der Gefahr des Technologieabflusses zu begegnen, so Taube. 

Abstrafung wegen politischer „Misstöne“

Klar sei jedenfalls ein vermehrtes Bestreben der politisch Verantwortlichen erkennbar, eigene übergeordnete staatliche Interessen gegenüber einzelwirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Fakt sei, dass vor der sogenannten Zeitenwende Risiken oft ausgeblendet worden seien, betonte der Experte. Das Vorantreiben der bilateralen wirtschaftlichen Interessen sei von allen Seiten klar gewollt gewesen. Die Prämisse habe gelautet: „Wandel durch Handel“. Diese Zeiten indes seien vorbei. Prof. Dr. Markus Taube: „Man muss heute von der Schönwetter-Globalisierung Abschied nehmen.“ Gleichsam wies er mit Blick auf Social Media, Überwachungstechnologien und Deepfakes auf die Zwiespältigkeit technologischen Fortschritts hin: „Ebenso wird erkennbar, dass technologischer Fortschritt nicht notwendig die Demokratie stärkt, sondern im Gegenteil Autokratien begünstigen kann.“

Generell erlebe wirtschaftliche Staatskunst eine Renaissance: „Das Drehen wirtschaftspolitischer Stellschrauben wird wieder zum Mittel, um höhere, im Bereich zwischenstaatlicher Beziehungen definierte Ziele zu erreichen.“ Wenn jedoch z.B. im Ausland ein deutscher Mittelständler wegen der „Misstöne“ politischer Mandatsträger in Deutschland abgestraft werde, dann sei dies mehr als ein harmloser Kollateralschaden und daher kritisch zu sehen. Den anwesenden Unternehmern sagte Professor Taube daher auch „stürmische Zeiten“ voraus, zumal die Economic Statecraft im globalen Handel immer mehr zum Faktor werde. „Also De-Coupling oder De-Risking in Bezug auf China?“, lautete am Ende des spannenden Vortrages eine Frage aus dem Publikum, die der Experte ohne Zögern beantwortete: „De-Coupling, ein komplettes Lossagen, kann tatsächlich keine Lösung sein. In vielen Bereichen ist die Zusammenarbeit mit China nicht weniger als alternativlos, auch und gerade in Klimafragen und in Fragen des Welthandels.“

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Ansprechpartner

Jens Brill

Tel: 0271 3302-160
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