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Nr. 002: Spannungsfeld Klima und Wirtschaft: Dr. Hermann Hüwels (DIHK) beleuchtet Klimapolitik der neuen Bundesregierung

04.01.2022 | „An 198 Stellen taucht der Begriff ‚Klima‘ im neuen Koalitionsvertrag auf, an 173 der Begriff ‚Wirtschaft‘. Das zeigt eindrucksvoll, in welchem Spannungsfeld sich die Ampelregierung in Berlin in den kommenden Jahren bewegt.“ In seinem Gastvortrag vor der Vollversammlung der IHK Siegen bot Dr. Hermann Hüwels vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) einen tiefen Einblick in die Ziele der neuen Koalition und beleuchtete die Hintergründe.

Die derzeitige Einschätzung der Wirtschaft zur Energiewende sei durch die steigenden Strom- und Gaspreise geprägt, hob der DIHK-Bereichsleiter „Klima- und Umweltpolitik“ hervor und verwies auf die Ergebnisse aktueller Umfragen bei Unternehmen aller Branchen. Demnach ist der Anteil der Unternehmen, die in den Energie- und Rohstoffpreisen ein Geschäftsrisiko sehen, innerhalb eines Jahres von rund 20 % auf rund 76 % gestiegen. Jeder siebte Betrieb gab an, bei Neuverträgen für Strom gegenüber dem bisherigen Liefervertrag mehr als doppelt so viel bezahlen zu müssen. Bei Verträgen für Gas sieht es ähnlich aus. Beinahe die Hälfte der befragten Unternehmen ist davon überzeugt, dass die steigenden Strom- und Gaspreise zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit am Standort in Deutschland führen werden.

Den Rahmen für die Bundespolitik böten auch für die kommenden Jahre die rechtsverbindlichen EU-Klimaziele, nach denen die Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber dem Stand von 1990 „netto“ um mindestens 55 % gesenkt werden müssen. Da die Ziele nach Leistungsfähigkeit auf die einzelnen Staaten umgelegt werden, ergeben sich für Deutschland noch strengere Werte. Das deutsche Klimaschutzgesetz sieht vor, dass die Emissionen bis 2030 um mindestens 65 % gesenkt werden. Die neue Bundesregierung hat sich derweil zahlreiche Projekte für den Klimaschutz vorgenommen, die im Koalitionsvertrag aufgeführt sind. Wichtig sei das Bekenntnis, dass Industrie in Deutschland weiter möglich sein soll, unterstrich Dr. Hermann Hüwels. Statt eines ministeriellen Vetorechts für das Klima, werde nun ein Klimacheck für alle Gesetze verfolgt. „Eine gute Nachricht ist zweifellos, dass die Belastungen durch die EEG-Umlage ab 2023 durch den Bund getragen werden. Das bietet vor allem energieintensiven Betrieben wertvolle Planungssicherheit.“ Insbesondere Bündnis 90/Die Grünen hätten auf einen Kohleausstieg schon 2030 gedrängt. Demgegenüber hatte die „Kohlekommission“, an der auch der DIHK-Präsident mitgewirkt hatte, nach langen und intensiven Beratungen mit den Stimmen der Umweltverbände festgestellt, dass dies realistisch zwischen 2035 und 2038 gelingen könne. Die gute Nachricht sei jedoch: Sollte es früher klappen, entfielen auch die Belastungen durch die Förderung der Erneuerbaren Energien, betonte Dr. Hermann Hüwels.

Ausführlich ging der Gast auf die Vielzahl an Herausforderungen für den Umwelt- und Klimaschutz in den Bereichen Netze, Speicher und Digitalisierung, Gebäude und Verkehr ein, mit denen sich die Bundesregierung in den kommenden Monaten und Jahren auseinanderzusetzen habe. Eine große Bedeutung käme dabei dem Tempo zu, mit dem Maßnahmen umgesetzt würden. „Derzeit kann es sechs bis neun Jahre dauern, einen Windpark zu genehmigen. Wenn das so läuft, kann die Energiewende nicht gelingen“, nannte der Referent ein Beispiel. „Das erklärt auch, weshalb das Thema ‚Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung‘ im Koalitionsvertrag breiten Raum eingenommen hat – völlig zu Recht!“ Zwar habe es auch in der Vergangenheit schon Versuche der Bundespolitik gegeben, Verfahren schneller zu machen, allerdings mit überschaubarem Erfolg. Die neue politische Konstellation gebe Hoffnung, dass dies künftig besser gelingt. Positiv zu werten sei auch, dass die Wasserstoffstrategie überarbeitet und die Elektrolysekapazität verdoppelt werden soll und sich eine größere Offenheit abzeichnet, Wasserstoff aus dem Ausland zuzukaufen.

Keine politischen Festlegungen gebe es im Bereich der Carbon-Leakage-Verordnung, also der Frage, wie Wettbewerbsnachteile für die ganze Bandbreite des produzierenden Gewerbes durch den nationalen CO2-Emissionshandel abgewendet werden können. Das gelte auch für die ausstehende Verlängerung des Spitzenausgleichs, der in 2022 auslaufe und helfe, energieintensive Betriebe wettbewerbsfähig zu halten. Auch Aussagen zur Weiterverwendung von abgeschiedenem Kohlendioxid insbesondere aus Verbrennungsabgasen (Carbon Capture an Utilization) fehlten. Das Thema Energieeffizienz schließlich werde im Koalitionsvertrag nur als Randthema behandelt, zeigte Dr. Hermann Hüwels abschließend auf.

IHK-Präsident Felix G. Hensel dankte dem Gast aus Berlin für den profunden Vortrag und betonte abschließend, dass es im Bereich der komplexen Klima- und Umweltschutzpolitik keine einfachen Antworten gebe: „Alles hängt am Ende mit allem zusammen. Daher ist auch das Risiko zu scheitern hoch, wenn es uns nicht gelingt, im eigenen Land mehr Tempo zu entfachen und zugleich international mehr Verbündete für den eigenen Politikansatz zu finden. Wenn im Ergebnis Teile unserer Industrie ins Ausland abwandern, haben wir viel verloren und das Klima nichts gewonnen. Hier muss die Politik mit großem Augenmaß handeln.“

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Ansprechpartner

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