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Tipps für Ausflüge: Sehenswertes ganz nah

Text: Brigitte Wambsganß, Fotos: Carsten Schmale

Monatelang waren die Menschen angehalten, möglichst zuhause zu bleiben und auf Aktivitäten in Gruppen zu verzichten.  Da wächst die Sehnsucht, wieder einmal draußen zu sein und wie vor der Corona-Krise einen Ausflug zu unternehmen. Man muss nicht weit fahren, um sich diesen Wunsch zu erfüllen: Attraktionen gibt es ganz in der Nähe. Die Atta-Höhle, Schloss Berleburg oder die Wasserburg Hainchen sind lohnenswerte Ziele im heimischen Kammerbezirk.

19. Juli 1907: Für die Arbeiter im Steinbruch von Eberhard Epe in Attendorn war es ein ganz normaler Arbeitstag – bis bei Sprengarbeiten ein Spalt im Fels auftauchte und den Blick auf eine faszinierende unterirdische Welt freigab.  Die Entdeckung der späteren Atta-Höhle „war eine Riesensensation“, weiß Wolfgang Böhmer, Urenkel von Eberhard Epe, aus Familienerzählungen. Sein Urgroßvater schloss den Steinbruch und ließ die Höhle auf eigene Kosten ausbauen. 1925 waren der 80 Meter lange Tunnel und der 1800 Meter lange Rundgang fertig. Epe hat sich als Visionär erwiesen: Heute gilt die Atta-Höhle als eine der schönsten Tropfsteinhöhlen Deutschlands.

Durch den gepflasterten Tunnel geht es in die Tiefe. Feuchte steinerne Wege und Treppenstufen führen in die Zauberwelt der Stalagmiten und Stalaktiten. Erstere wachsen vom Boden aus nach oben, die anderen von der Decke nach unten. 400 Mio. Jahre ist die imposante Unterwelt alt. Die bizarren Gebilde wachsen in zehn Jahren nur etwa einen Millimeter. Entlang an zerklüfteten Wänden führt der Weg durch die verschiedenen „Säle“ – und eröffnet den Blick auf die „Kunstwerke“, die die Natur geschaffen hat. Gewaltige, bizarr geformte Steinsäulen hängen von der zerklüfteten Decke herab oder gruppieren sich auf dem felsigen Boden. Manche sehen aus wie glatt gewaschen, andere so, als hätte sie ein Bildhauer kunstvoll verziert. Berühmt ist die Atta-Höhle für ihre „Sinterfahnen“, die es nur hier gibt, wie Böhmer erklärt. Wie Gardinen fallen sie in eleganten Falten von der Felsdecke herab. Abgestufte Gelbtöne von Ocker bis Hellgelb verleihen der Höhle ihre Farbigkeit. Verantwortlich dafür sind die Eisenoxide im Gestein.  Jeder Raum hat einen besonderen Reiz: In der „Alhambra-Grotte“ passieren die Besucher zum Beispiel einen Wald von Säulen, und in der imposanten „Zentralhalle“ hängt zwischen gewaltigen Felsen der älteste Tropfstein der Höhle, der es auf eine Höhe von sechs Metern bringt. Manche Besucher kommen regelmäßig vorbei. Sie genießen auf Liegen in einem etwas abgelegenen Tropfsteinraum die zu 100 % staub- und keimfreie Luft. Sie schwören auf den positiven Einfluss der feuchten, reinen Höhlenluft auf die Atemwege. Eine weitere Spezialität der Atta-Höhle ist eine Grotte, in der auf Regalen der „Atta-Käse“ reift – bei einer Luftfeuchtigkeit von konstant 95 %. Wolfgang Böhmer lässt ihn in der eigenen Käserei herstellen. Zu erwerben ist er im Shop der Atta-Höhle und bundesweit in vielen Geschäften. Die Besucher können sich nach dem 40-minütigen Rundgang „überirdisch“ stärken – im traditionsreichen Restaurant „Himmelreich“.

„Tausende Touristen“, unterstreicht Wolfgang Böhmer, ziehe es pro Jahr in die sauerländische Attraktion. Sie kommen aus ganz West- und Osteuropa, Amerika und Asien. „Viele chinesische Reisegruppen machen auf dem Weg von Frankfurt ins Ruhrgebiet hier Station.“ Seit 2019 bietet die Atta-Höhle einen Audio-Guide an, den man mit dem Smartphone kostenlos herunterladen kann. So können sich die ausländischen Besucher die Erklärungen während der Führung an den einzelnen Stationen der Atta-Höhle auf Englisch, Niederländisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Dänisch und Griechisch anhören.

Die heutige Atta-Höhle ist offenbar nur Teil eines riesigen unterirdischen Labyrinths. 1986 entdeckte man eine Spalte, die den Blick in eine weitere Tropfsteinwelt erlaubte. Unter Leitung des Letmather Höhlenforschers Elmar Hammerschmidt erkundete ein Team den neuen Teil der Höhle. Wolfgang Böhmer: „Er ist noch größer als der bestehende Teil. Die ,Kuppelhalle‘ hat einen Durchmesser von 40 Metern und ist ebenso hoch. Andere Räume sind mindestens sechs mal vier Meter groß.“ Ein unterirdischer Flusslauf mündet in einen See. Wolfgang Böhmer erklärt: „Hier brachen wir ab. Es war zu gefährlich.“

Vom Sauerland geht es weiter nach Wittgenstein. Das Ziel: Schloss Berleburg, seit 750 Jahren Sitz der Familie zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Es thront mitten in der Altstadt. Seine Geschichte reicht zurück ins Jahr 1258, als Graf Siegfried I. die Hälfte der Stadt Berleburg erwarb. Der älteste noch erhaltene steinerne Raum des Schlosses, der „Rittersaal“, befindet sich im (vom Eingangstor aus) rechten Seitenflügel. Heute ist er ein beliebtes Restaurant – die „Schloss-Schänke“. Fragmente von Wandmalereien dokumentieren seine einstige Pracht. „Es ist die älteste profane Malerei in Westfalen“, berichtet Johannes Röhl, Kammerdirektor – das bedeutet Leiter der Gesamtverwaltung – der Fürstenfamilie. Den heutigen Hauptbau mit „Rotem Turm“ und Orangerie ließ Graf Casimir, einer der bekanntesten Vertreter des Hauses zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, zwischen 1731 und 1735 erbauen. Der Graf, ein strenger, aber toleranter Pietist, der Religionsflüchtlingen Asyl gewährte, finanzierte auch die achtbändige „Berleburger Bibel“. Dank der üppigen Mitgift seiner zweiten Ehefrau, einer Wienerin, schuf er, wie Johannes Röhl berichtet, ein kleines Barockschloss mit englischem Garten, Tiergarten, Grotte und Lusthaus.

Die erste Etage des ockerfarbenen Hauptbaus ist für die Öffentlichkeit zugänglich. In der zweiten Etage wohnt Gustav Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, der Sohn des 2017 verstorbenen Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, der der Chef der Gesamtfamilie zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg war. Johannes Röhl: „Dies ist das Besondere an Schloss Berleburg. Es ist kein Museum. Die Familie nutzt es. Es lebt.“ Erste Station im Erdgeschoss ist die 1912 modernisierte Säulenhalle mit Stuckdecken und glamourösem Kronleuchter. Sie ist der elegante Rahmen für die beliebten Schlosskonzerte, zu denen die Familie gemeinsam mit der Kulturgemeinde Berleburg regelmäßig einlädt. Eine Holztreppe führt in die erste Etage. Über eine Galerie mit den Gemälden früherer Familienmitglieder gelangen die Besucher in die fürstlichen Räume. Hier lässt sich nachempfinden, wie die einstigen Bewohner gelebt haben. Zu sehen ist zum Beispiel der mächtige, mit Intarsien versehene Schreibtisch von Graf Casimir. Ein weiteres Zimmer ist mit zierlichen Rokokomöbeln ausgestattet. Das Baldachinbett im Schlafzimmer ist am Kopfteil abgenutzt. „Die Damen schliefen nämlich wegen ihrer Rokokofrisuren im Sitzen“, erzählt Johannes Röhl. Im „Roten Salon“ hängen Gemälde aus jüngerer Zeit – zum Beispiel das der in der Bevölkerung sehr beliebten Fürstin Margareta (1909-2005), die unter anderem nach dem Zweiten Weltkrieg Ostflüchtlinge im Schloss aufgenommen hatte. Auch die Gemälde von Prinz Richard zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (1934-2017) und seiner Ehefrau Prinzessin Benedikte zu Dänemark und zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, sind hier zu sehen. Die Familie nutzt heute noch die schlichte, helle Hofkappelle. Hier finden Taufen oder Trauerfeiern statt. Auf dem Boden des „Trophäensaals“ liegt ein riesiges Eisbärfell: das Geschenk der Grönländer zur Hochzeit von Prinz Richard und Prinzessin Benedikte. Grönland gehört bekanntlich zu Dänemark. Prinzessin Benedikte wohnt nicht im Hauptbau, sondern in der im schönen Schlosspark gelegenen „Münze“, die seit langem ein Wohnsitz der Familie ist. Die Nähe zu ihrem Königshaus locke viele dänische Besucher nach Bad Berleburg, vermutet Johannes Röhl. Insgesamt begrüßt das Schloss jährlich 14.000 bis 15.000 Gäste aus ganz Deutschland und dem Ausland. Sie kommen individuell oder in Bussen. Als besonderes Bonbon bietet Schloss Berleburg eine „exklusive Zeitreise durch das barocke Schloss“ an. „Gräfin Marie Esther Polyxena von Wurmbrand-Stuppach“ führt höchstpersönlich im Rokoko-Kostüm und mit weißer Perücke  durch die historischen Räume. Die Gräfin war die Gemahlin des Grafen Casimir zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Hinter ihr verbirgt sich die Berleburger Kulturwissenschaftlerin und Museums-Moderatorin Gabriele Rahrbach.

Eine gute halbe Stunde von Bad Berleburg entfernt liegt am Rande des Netphener Ortsteils Hainchen ein weiteres Zeugnis der regionalen Geschichte: die Wasserburg Hainchen. Das leuchtend gelb gestrichene Hauptgebäude und der angrenzende ältere weiße Bau spiegeln sich im Wasser des Burggrabens. Daneben die ansprechend renovierte Gaststätte „Remise“, deren Name an das früher hier angesiedelte Wirtschaftsgebäude erinnert. Drumherum befinden sich Wiesen mit Blumen und ein bewaldeter Hang, der inzwischen ein attraktiver Bewegungspark für Kinder ist. Gepflegte Wege rund um den Wassergraben laden zum geschichtsträchtigen Rundgang ein. Schließlich datiert die erste urkundliche Erwähnung der Burg Hainchen bereits aus dem Jahr 1290. Es handelt sich um die einzige vor dem kompletten Verfall bewahrte Höhenwasserburg Südwestfalens.

Sie hat eine ereignisreiche Geschichte – geprägt von dem häufigen Wechsel der Besitzer, die zudem in zahlreiche Scharmützel verwickelt waren. Dazu gehörten die Herren von Hain, die von Bicken, die Grafen von Nassau und die Familie von Fleischbein. In napoleonischer Zeit verfiel das Gebäude immer mehr. 1864 begann der Abriss: „Die beiden letzten Türme wurden niedergelegt, die Steine zum Bau der Straße von Hainchen ins hessische Rittersfeld verwendet“, schreiben Olaf Wagener und Andreas Bingener in ihrem akribisch recherchierten Heft „Hainchen – eine Wasserburg im Wandel der Zeit“. In den Resten der Burg waren in den 1950er Jahren eine Oberförsterei und ein Künstleratelier untergebracht. Der 1970 gegründete „Verein zur Erhaltung der Wasserburg Hainchen“ und der „Siegerländer Burgenverein“  konnten schließlich mit Unterstützung von Bund, Land, Kreis Siegen-Wittgenstein und der Stadt Netphen die heruntergekommene Wasserburg aus ihrem langen Dornröschenschlaf wecken. 1977 übergaben sie die Anlage ihrer „zeitgemäßen Bestimmung“.

„Seit damals wurde hier aber nichts Nachhaltiges mehr gemacht“, resümiert Paul Breuer, Vorsitzender des Siegerländer Burgenvereins. Die Burg war renovierungsbedürftig. 2017 gab es mit Beteiligung der Bürger eine Ideenwerkstatt. Mit öffentlichen Geldern und Spenden sowie großem Engagement gelang es, die hier gesammelten Anregungen für eine zukunftsfähige Umgestaltung und Nutzung der Anlage zu realisieren: „Wir haben eine hohe sechsstellige Summe ausgegeben“, zieht der ehemalige Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein beim Rundgang durch die Burg Bilanz. Entstanden ist ein Kleinod, das reizvoll das historische Erbe mit der modernen Nutzung verbindet. Paul Breuer zeigt mit Stolz das Ergebnis der konzertierten Aktion – den hellen Konferenzsaal mit den hohen weißen, speziell für die Burg hergestellten Sprossenfenstern, das attraktive Trauzimmer mit der verglasten Arkadenwand sowie den Kaminsaal und den großen Veranstaltungsraum im Keller. Zu den Besonderheiten gehören zwei mächtige Renaissance-Säulen: Die einfach gestaltete Säule im Keller stützt eine zweite, die unter den Arkaden auf der Erdgeschoss-Ebene zu finden ist. Ihr Kapitell schmückt ein geflügelter Kopf, genannt der „Hausgeist“. Historisch bedeutsam ist auch die älteste Holztür des Siegerlands aus dem Jahr 1557.

Seit Herbst 2019 hat die Wasserburg eine Attraktion, die vor allem Kinder begeistert – den Erlebnispark. In dem hügeligen Gelände mit seinen natürlichen Bächen locken eine Seilbahn, eine Spinnenbrücke und Wasserspiele zum Toben und Spielen. „Kinder haben heute zu wenig Bewegung. Alles, was wir hier machen, hat mit der Stärkung des Gleichgewichts zu tun“, erklärt Paul Breuer die Konzeption. Spielen können die jüngsten Burgbesucher auch mit dem nostalgischen Marketenderwagen auf der Brückenseite der Burg.

Wie finanziert der Siegerländer Burgenverein die Unterhaltung der Anlage – außer durch Spenden? „Wir müssen weitere Formate finden und sie vermarkten. Viele sind bereits angestoßen.“ So wird die Philharmonie Südwestfalen hier Konzerte geben. Firmen wollen auf dem gesamten Gelände Betriebsfeste feiern. Außerdem sind Trauungen im Burg-Ambiente schon jetzt sehr beliebt. Das Trauzimmer ist offizielle Außenstelle des Standesamtes der Stadt Netphen. Paul Breuer: „Wir hatten zwei Jahren bereits mehr als 100 Hochzeiten.“ Viele Paare feiern in der kulinarisch von der Siegener Cucina Service Catering GmbH versorgten „Remise“ neben der Burg.  Auch die Konferenz- und Tagungsräume in der Burg sind gut nachgefragt. Die Gäste können zum Übernachten die 15 Gästehausbetten im Dachgeschoss buchen. Der Burgenverein will sie demnächst modernisieren – mit dem Burgcharakter angepassten Materialien. Der Aufenthalt soll ein Erlebnis sein. Als weiteres Ziel will der Burgenverein eine Verbindung geschichtlicher Orte zwischen der Wasserburg Hainchen und der Ginsburg schaffen, die er ebenfalls betreut. Paul Breuer: „Wir wollen noch existente Hohlwege, Schläge und Grenzsteine zwischen den Burgen dokumentieren und denkmalrechtlich sichern. Über den Rothaarsteig sind alle Punkte für Wanderer und Radfahrer erreichbar.“ Für ihn ist das erlebte Geschichte.

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