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Wittgensteiner Einzelhandel - Technologieberatung nimmt Fahrt auf

Text: Patrick Kohlberger, Fotos: Carsten Schmale, IHK Siegen, La Cave Wein-Fachhandel Conrad GbR, Uni Siegen

Die durch die Pandemie bedingte Schließung ihrer Geschäfte brachte viele heimische Einzelhändler in Schwierigkeiten. Monatelang konnten sie ihrer ureigenen Aufgabe nicht nachgehen. Während große Onlineshops vom veränderten Kundenverhalten profitierten, sah die Lage in den Innenstädten und Zentren des Kammerbezirks bedingt durch die Kontaktbeschränkungen ganz anders aus. Die IHK Siegen nahm die Situation zum Anlass, um hiesigen Akteuren bei der digitalen Transformation unter die Arme zu greifen und ihnen Wege aufzuzeigen, die auch nach der COVID-19-Krise dauerhaft tragfähig sind. Das Projekt wird zunächst in Wittgenstein getestet. Zentraler Baustein: die Unterstützung durch Jun.-Prof. Dr. Thomas Ludwig.

„Als stationärer Händler muss man der Entwicklung rund um die Digitalisierung Rechnung tragen, um konkurrenzfähig zu bleiben“, unterstreicht Reiner Herling, der in Erndtebrück ein seit vielen Jahren etabliertes Elektrofachgeschäft leitet. Es sei schlicht nicht zielführend, auf große Online-Anbieter zu schimpfen und selbst immer nur an altbekannten Mustern festzuhalten. Die Kunden erwarteten heutzutage fundierte Konzepte. „Und genau daran will ich mich orientieren“, bekräftigt der Unternehmer.

Schon länger habe er an entsprechenden Plänen gefeilt. Die im Zuge der Corona-Pandemie verhängten Shutdowns und das sich wandelnde Anspruchsdenken der Kunden hätten ihn schließlich dazu bewegt, seine Ideen in die Tat umzusetzen. Umso dankbarer ist Herling für die Zusammenarbeit mit Thomas Ludwig, der ihm im Auftrag der IHK seit einigen Wochen mit wissenschaftlicher Expertise und praktischen Tipps zur Seite steht: „Er hat mich auf viele spannende Punkte hingewiesen, die ich so noch gar nicht auf dem Schirm hatte.“

Am Anfang der Kooperation stand eine Analyse des Status quo. In den Gesprächen stellte sich schnell heraus, dass Reiner Herling noch große Potenziale offenstanden, da er in vielen Bereichen klassisch analog agierte. „Ich habe Plattformen wie Instagram oder Facebook nur sporadisch genutzt und die Webseite auch nicht in bestmöglicher Weise gepflegt. Da haben wir sofort den Finger in die Wunde gelegt.“ Ermutigt durch die praxisnahen und leicht umsetzbaren Ratschläge des Siegener Wissenschaftlers, stellte der Erndtebrücker kürzlich eine neue Mitarbeiterin ein, die sich um den Bereich Internet und Social Media kümmert und dieses Thema als festen Bestandteil der Unternehmensphilosophie etabliert. Thomas Ludwig nahm dem Elektroexperten die Angst vor den technologischen Hürden sowie auch den rechtlichen Fallstricken, etwa mit Blick auf die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und die mit ihr einhergehenden Anforderungen.

Auf diesen ersten Erfolgen möchte Herling konsequent aufbauen. Sein Ziel besteht darin, den Kunden online ein spannendes und komfortables Einkaufserlebnis zu bieten. Er wird das Ladeninnere mithilfe einer 360-Grad-Kamera aufnehmen, sodass sich jeder Interessierte virtuell umschauen kann. „Wer sich etwa für eine Kaffeemaschine interessiert, findet dann vielleicht beim digitalen Gang durch das Geschäft noch den passenden Eierkocher – eben ganz genau so, als wäre er hier bei mir vor Ort.“ Seine Ladenfläche hat der Wittgensteiner bereits leicht verkleinert, um mehr Platz für individuelle Beratung und einen Showroom zu haben.  

Die Kooperation mit Thomas Ludwig bringt für Reiner Herling viele neue Ideen zu Tage. Für ihn steht fest: „Die Digitalisierung ist ein ständiger Prozess. Man muss sich immer wieder hinterfragen und neue Ansätze suchen.“ Unter anderem beschäftigt er sich mit dem Gedanken, das Thema 3-D-Druck in seinen Geschäftsalltag zu integrieren. Hier befinden sich die Planungen aber noch in der Frühphase.

Die IHK-Initiative zur Stärkung des Einzelhandels nimmt auch Bernd Petzolt, Geschäftsführer der STAEHLER 1888 GmbH aus Bad Laasphe, in Anspruch. Der Juwelier leitet das Optik-, Uhren- und Schmuckgeschäft in der Lahnstadt zusammen mit seiner Ehefrau Heidrun Wolff. Zudem betreiben die beiden noch ein Schmuckgeschäft in der Siegener City-Galerie. Sie haben die Digitalisierung schon vor dem ersten Shutdown forciert und beispielsweise einen modernen Onlineshop implementiert. Das Zusammenspiel zwischen diesem und dem eingeführten Warenwirtschaftssystem sei jedoch nicht perfekt gewesen, skizziert Petzolt. Seine Idee: ein neues System installieren und damit die Abläufe optimieren.

Zurzeit befindet sich der Unternehmer mit Thomas Ludwig in der Abstimmung darüber, ob die Wahl auf eine allgemeingültige Option oder eine für den Uhren- und Schmuckbereich spezifizierte Branchenlösung fällt. Bei der zweitgenannten Variante sind auf den elektronischen Lieferscheinen nicht nur der Preis und die Stückzahl, sondern auch weitere detaillierte Produktinformationen, die man ansonsten noch selbst programmieren müsste, zu finden. Für das STAEHLER-Team geht es nun darum, herauszufinden, wie hoch der Aufwand wäre und welches Vorgehen sich eher rentiert. Besonders hilfreich findet es Bernd Petzolt dabei, dass er nun über mögliche Fördermittel Bescheid wisse: „Thomas Ludwig hat uns einerseits gezeigt, wo der Schuh drückt und wo wir ansetzen können. Er verdeutlicht aber zugleich eben auch, welche Unterstützungsangebote wir dabei nutzen können.“

Bei der strategischen Geschäftsausrichtung sei es wichtig, die Vorzüge der analogen und der digitalen Welt miteinander zu verknüpfen. Die Online-Sichtbarkeit werde immer wichtiger: „Wir sehen, dass die Menschen immer noch sehr gerne vor Ort einkaufen, ihre Entscheidung aber zunehmend durch das Stöbern im Web vorbereiten.“ Daher sei es geboten, die Produkte im Internet ansprechend vorzustellen und natürlich dabei jederzeit auf die Möglichkeit der persönlichen Beratung hinzuweisen.

Dieser Zielsetzung verschreibt sich auch das Team der La Cave Wein-Fachhandel Conrad GbR. Das im Nebenerwerb geführte Familienunternehmen hat sich deutschlandweit einen Namen gemacht und steht mit seinem Laden in Bad Laasphe seit der Gründung vor nunmehr 23 Jahren für Authentizität, Qualität und eine sehr enge Bindung zu den Kunden: „Das wird auch weiterhin so sein“, verspricht Frederic Conrad, der die Geschicke gemeinsam mit seinem Vater Friedhelm Conrad leitet. Beide setzen nunmehr auf das Konzept der hybriden Beratung. Sie sind in ihrem Geschäft erreichbar und suchen auch online gezielt den Dialog.  

Die ersten Monate der Corona-Pandemie haben die Weinexperten damit verbracht, sämtliche Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und die Digitalisierung des Unternehmens voranzutreiben. „Früher haben wir immer sehr viel ausgedruckt. Heute läuft alles papierlos – von der Buchhaltung bis hin zur Rechnungsabwicklung“, ordnet der Seniorchef ein. Die heimischen Kunden schätzten weiterhin das herrliche Ambiente und die Gespräche im Laden. Mehr als 500 hochwertige Weinsorten könne man hier mit allen Sinnen erleben.

Viele schauten sich jedoch zunächst online um, bevor sie einen individuellen Termin zur Beratung im Geschäft vereinbarten. Alle anderen Interessierten spreche man sehr effizient über den Onlineshop und gut gepflegte Social-Media-Kanäle an. So gelinge es, die Reichweite deutlich zu erhöhen. Thomas Ludwig habe diesbezüglich den Tipp gegeben, mit regionalisierten Hashtags zu arbeiten, um auch die hiesigen Weinfreunde online abzuholen und insgesamt die Zielgruppe noch besser zu erreichen. Über Instagram und Facebook könne man sowohl lokale Aspekte – beispielsweise ein schönes Wein-Picknick am Schloss Wittgenstein – als auch die exzellente internationale Verflechtung des Unternehmens, etwa hinsichtlich der Kontakte mit renommierten Weingütern in Italien und Frankreich, in den Fokus rücken.

Für Friedhelm Conrad, Ehrenmitglied der historischen Weinbruderschaft Bordeaux, ist es wichtig, den Online-Pfad als „digitale Visitenkarte“ zu verstehen und den Kunden in Zukunft noch besser entgegenzukommen. Unter anderem hat er sich gemeinsam mit seinem Sohn dazu entschieden, 360-Grad-basierte virtuelle Weinproben durchzuführen: „Weine und ihre Besonderheiten online kennenzulernen und sich unter professioneller Anleitung ein geschmackliches Erlebnis der besonderen Art in den eigenen vier Wänden zu schaffen, ist ein Trend, der sich in der Corona-Zeit durchgesetzt hat.“ Durch den Austausch mit Thomas Ludwig habe er in vielen Detailfragen, beispielsweise auch beim Thema Suchmaschinenoptimierung, wertvolle Impulse erhalten, hält Frederic Conrad abschließend fest.

Wittgensteiner Einzelhändler, die das Beratungsangebot nutzen möchten, können sich jederzeit an IHK-Mitarbeiter Boris Edelmann (boris.edelmann@siegen.ihk.de, 0271 3302-514) wenden.

Interview mit Jun.-Prof. Dr. Thomas Ludwig

 

Welches Portfolio an Beratungsinhalten decken Sie ab?

Man schaut sich zunächst die typische Customer Journey an. Also von den Impulsen, die einen potenziellen Kunden dazu bewegen, bei einem Einzelhändler einzukaufen, über Informationen rund um den Einzelhandel und über den tatsächlichen Vor-Ort-Besuch bis hin zur späteren Kundenbindung. Dabei können natürlich eine Reihe von Themen eine große Rolle spielen, beispielsweise der Einsatz neuer Technologien wie Augmented oder Virtual Reality, der Aufbau virtueller 360-Grad-Touren durch den eigenen Laden, der Einsatz von Chatbots, die Anwendungsfelder des 3-D-Drucks, aber auch klassische Themen wie der Aufbau von Online-Shops, der Einsatz von Warenwirtschaftssystemen, die Suchmaschinenoptimierung oder der Aufbau und die Nutzung von Social-Media-Kanälen.

 

Worin liegen bei den Einzelhändlern generell die größten Probleme begründet, wenn es um die Digitalisierung geht?

Die Herausforderungen sind vielseitig. Das erste Problem besteht darin, dass die Einzelhändler ihr klassisches Geschäftsmodell überdenken müssen. Online und offline wachsen stärker zusammen, und das bedarf geeigneter Strategien. Corona hat dies allen nochmal deutlich gezeigt. Was früher die klassische Beratungstätigkeit des Einzelhändlers war, findet heute oftmals in Online-Bewertungen, Online-Foren oder Online-Testberichten statt – typischerweise direkt aus Kundensicht. Natürlich gilt das nicht für alle Produkte und Dienstleistungen, aber man darf die Relevanz dieser Quellen nicht ignorieren. Jeder, der schon einmal in einer fremden Stadt war und ein Restaurant gesucht hat, weiß, dass alles unter 4-Sterne-Bewertungen bei Google praktisch uninteressant ist.

Die Einzelhändler stehen allerdings auch noch vor weiteren Problemen. Zwar sind alle Einzelhändler Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet, aber die Digitalisierung verlangt nun neue Kenntnisse, die nicht unbedingt gegeben sind. So kann man nicht „eben mal KI machen“, wenn noch nicht mal eine geeignete Datenbasis digital vorhanden ist. Man kann nicht eben mal Facebook oder Instagram als neuen Absatzkanal nutzen, wenn man keine Nutzer hat, die einem folgen. Genauso kann man auch nicht eben mal einen Onlineshop aufsetzen, wenn man seine Warenwirtschaft nicht im Griff hat. Welche Anwendungsfelder existieren und was hinter solchen Themen steckt, gilt es durch Aufklärungsarbeit zu vermitteln, um gemeinsam mit den Einzelhändlern zu schauen, welche Themen überhaupt Sinn ergeben und wie wir sie strategisch und vor allem nachhaltig angehen können. Das vorherige Problem ist allerdings eng an das Thema Zeit geknüpft. Die meisten Einzelhändler sind von morgens früh bis abends spät in ihrem eigenen Laden unterwegs und haben kaum Zeit, sich intensiv mit zukünftigen Themen zu beschäftigen. Dieses Problem lässt sich nur durch geeignete Angebote für den Einzelhandel lösen.

 

Welche Förderinstrumente können Einzelhändler in Anspruch nehmen?

Es gibt eine Reihe von Förderinstrumenten. Ein sehr wichtiges Beispiel ist das Landes-Programm Mittelstand Innovativ & Digital (MID). Es richtet sich an Unternehmen aus NRW mit weniger als 250 Mitarbeitern. Ausführliche Informationen finden sich unter mittelstand-innovativ-digital.nrw/mid-gutscheine. Online kann man sich detailliert über die Kategorien MID-Analyse, MID-Innovation und MID-Digitalisierung informieren. Aufgrund der Corona-Krise sind die Förderquoten angehoben. Das Ganze gilt bis zum 30. September 2021. MID-Invest ist unglücklicherweise mit einem Losverfahren für die Registrierung verbunden. MID-Assistent ist für Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern vorgesehen.

Nicht förderfähig sind im Übrigen grundlegende Büroausstattung, Lizenzen für Webshops und Homepages sowie Beratungsleistungen oder Infrastrukturmaßnahmen.

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Ansprechpartner

Patrick Kohlberger

Tel: 02713302-317
Fax: 0271 3302400
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Hans-Peter Langer

Tel: 0271 3302-313
Fax: 0271 3302400
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